Der Assistent der Sterne
Beschreibung zutraf. Hingegen sah er Van Gaever, der sich verloren umblickte.
»Da ist Ihr Kollege«, sagte De Reuse, er winkte Van Gaever zu, worauf sich dessen Gesicht aufhellte. Jensen kannte Van Gaever nicht persönlich. Er war ihm aber während des Seminars an der Volkshochschule als eifriger Frager aufgefallen. Den anderen Teilnehmern und auch Jensen war Van Gaever schon bald auf die Nerven gegangen, denn seine zahllosen Zwischenfragen hatten nur den Schluss zugelassen, dass er entweder schwerhörig oder begriffsstutzig war. Und doch hatte De Reuse auch ihn eingeladen. Warum ich?, dachte Jensen. Aber vor allem: warum Van Gaever? Das war noch wesentlich rätselhafter. An jenem Volkshochschulkurs hatten doch weitaus begnadetere Hobbyphysiker teilgenommen, Laien von scharfem Verstand. Dirk de Kort etwa, ein ehemaliger Gymnasiallehrer, der im Selbstverlag ein Buch über Quantenverschränkung herausgegeben hatte, in dem er hochinteressante, ernst zu nehmende Theorien entwickelte. De Kort hätte doch hier stehen müssen, nicht Van Gaever, dem eine frisch gekaufte Pelzmütze schief auf dem Kopf saß und dessen Gegenwart vom ersten Moment an etwas Einschläferndes hatte.
Man begrüßte sich, man schüttelte sich die Hand. Van Gaever beklagte sich über die Hitze, er nahm die Pelzmütze ab und drehte sich zur Seite, um zu gähnen.
»Und dort kommt die Königin«, sagte De Reuse. Er strich sich die Haare aus der Stirn, eine jugendliche Geste, für die ihm aber noch genügend Haare zur Verfügung standen, kräftige Haare in melodiösen Grautönen.
Die Assistentin trug eine weiße Wollmütze und einen gleichfalls weißen, knöchellangen Wintermantel, dazu elegante, spitze Schuhe aus Lackleder. Ihren Koffer hatte sie mitten in der Halle stehen lassen, sie schien zu erwarten, dass einer der Männer sich darum kümmerte.
De Reuse umarmte seine Assistentin wortlos, bei beiden war kein Anzeichen von Wiedersehensfreude zu erkennen.
»Darf ich vorstellen?«, sagte De Reuse mit steinernem Gesicht. »Meine geschätzte Assistentin, Frau Ilunga Likasi. Herrn Van Gaever«, wandte er sich an sie, »kennst du ja sicher schon.«
»Ach so«, sagte Van Gaever. »Ja natürlich.« Er streckte ihr die Hand hin. »Sie sind mir aufgefallen, im Flugzeug. Ich wusste aber nicht, dass Sie … sonst hätte ich mich natürlich zu erkennen gegeben.«
War sie stumm? Sie schüttelte Van Gaever kurz die Hand und schaute dann durch Jensen hindurch.
»Und das ist Herr Jensen«, sagte De Reuse. »Er hat seinen Beruf aufgegeben, um sich ganz der Physik zu widmen. Er war Kriminalbeamter, falls dich das beruhigt.«
Weshalb sollte es sie beruhigen? Sie zuckte die Achseln, den Händedruck verweigerte sie Jensen.
»Van Gaever«, sagte De Reuse. »Kümmern Sie sich doch bitte um das Gepäck der Dame. Unser Wagen steht gleich hier vor dem Ausgang. Sie holen den Koffer, wir gehen inzwischen zum Wagen und warten dort auf Sie. Ist das annehmbar?«
»Natürlich«, sagte Van Gaever. Er eilte davon, um den Auftrag zu erledigen.
Jensen blickte sehnsüchtig auf die Tafel mit den Abflugzeiten, eine Maschine nach London startete in einer halben Stunde. Auch nach Paris hätte er noch fliegen können. Die Zukunft schien ihm unsicher und dunkel. Drei Wochenmit drei Leuten, von denen der eine ein Dummkopf zu sein schien, die andere verschlossen und mürrisch und der Chef dieser kuriosen Unternehmung ein Angeber und Chevalier der verwelkten Rose. Der erste Eindruck mochte täuschen, er kannte alle drei noch zu wenig, und er wusste, dass er dazu neigte, Menschen auf den ersten Blick zu negativ einzuschätzen. Oft stellte sich dann heraus, dass sie sehr viel umgänglicher waren als er selbst. Als aber in diesem Moment über Lautsprecher ein letzter Aufruf für einen Flug nach Amsterdam durchgegeben wurde, nahm er das persönlich: ein letzter Aufruf zur Umkehr.
Sie luden das Gepäck in den Geländewagen, die Sitzordnung stand fest: das offensichtlich zerstrittene Paar vorn und hinten die beiden Mitwisser, von denen der eine, Van Gaever, sich schon kurz nach der Abfahrt in einen Scheinschlaf flüchtete. De Reuse fuhr schnell und ruppig, im Gepäckraum schepperten die Eispickel, die Zeltheringe und was er für seine Überraschungstour sonst noch gekauft haben mochte. Jensen vermutete jetzt, dass es De Reuse bei dieser Tour gar nicht darum ging, seine Freundin abzuhärten. Er hoffte wohl vielmehr auf eine Versöhnung in Eis und Schnee. Er ganz allein auf dem
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