Der Assistent der Sterne
sich die Fühler.
»Du würdest das nicht tun«, sagte Stassen. »Du würdest mir nicht einen solchen Mist erzählen?«
»Nein. Bis dann, Frans. Und danke. Danke für alles.«
… und dann werden Sie sie töten, hörte er Lulambo sagen.
Er legte den Hörer auf die Gabel, vorsichtig, um das Insekt nicht zu verscheuchen. Er stand auf und trug es auf seinem Daumennagel zum Fenster. Die Fächer der Palmen rauschten im Wind, der vom Meer her Regenwolken herantrieb, in denen schon die Blitze zuckten. Jensen hielt seinen Daumen in den Wind; das Insekt krallte sich fest, denn der Wind traf es von der Seite. Langsam drehte das Insekt sich in den Wind, mit dem Kopf voran, um ihm möglichst wenig Widerstand zu bieten. Und jetzt, da es dem Wind die Stirn bot, war er ihm keine Gefahr mehr, sondern Hilfe. Die Windströmung drückte das Insekt auf den Nagel, wo es sein wollte; es war an seinem Platz sicher, dank des Windes, der es doch eigentlich wegfegen wollte.
So hat sie sich das vorgestellt, dachte Jensen. Das war der Grund, weshalb sie Verstreken belogen hatte. Sie beschuldigte De Reuse, um sich vor ihm zu schützen. Sie brandmarkte ihn in der Hoffnung, dass er es jetzt nicht mehr wagen würde, ihr etwas anzutun. Und gleichzeitig lenkte sie Verstreken dadurch von ihrem Vater ab. Jorn Lachaert, es war wichtig für sie, dass sein Name nicht fiel. Sie verschwieg Jorns Tat, weil sie ihn eigenhändig bestrafen wollte. Ein paar Monate Haft wegen versuchter Entführung, dachte Jensen, das hat ihr nicht genügt. Jorns Strafe mussteder Wunde entsprechen, die er ihr zugefügt hatte und über die kein Richter entscheiden konnte. Sie lauerte ihm auf, im Haus ihrer Kindheit. Sie konnte nicht wissen, dass ihr Vater sich entschlossen hatte, seine Strafe im Dschungel von Surinam zu verbüßen. Sie hörte jemanden kommen, sie machte sich bereit, den Vater, der sein eigenes Kind verleugnet hatte, aus der Welt zu schaffen. Aber dann stand nicht Jorn vor ihr, sondern De Reuse …
Es klopfte an die Tür. Der Sekretär betrat sein eigenes Büro mit einem schüchternen Gesichtsausdruck, so als gehöre das Büro Jensen.
»Ich möchte Sie nicht stören«, sagte er. »Aber wären Sie jetzt allenfalls bereit, diese Formulare auszufüllen?«
»Natürlich«, sagte Jensen. Er warf einen Blick auf das Insekt auf seinem Daumen. Er hob den Daumen an seine Lippen und pustete das Insekt weg. Der Wind trieb es davon, in Richtung der Bäume, in denen die tropischen Vögel hungrig waren vom Singen.
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29
M it zitternden Händen zog er die Handschuhe aus, schüttelte sich den Schnee aus den Haaren, stampfte ihn von den Schuhkuppen, wischte ihn sich von den Schultern. Anstatt zu klopfen, hätte er sein Herz an ihre Tür pressen können, das hätte genügt. Als sie die Tür öffnete, spürte er einen Schmerz im rechten Arm, sein Herz bekam nicht genügend Sauerstoff.
»Annick«, sagte er, mit brüchiger Stimme. Seit langer Zeit hatte er diesen Moment herbeigesehnt, und nun war er zu aufgeregt, um ihn zu genießen. Er litt, anstatt glücklich zu sein. Verzweifelt umarmte er sie, in der wattierten Skijacke, die ihn taub machte für die Berührung, nur seine Hände spürten etwas, den dünnen, geriffelten Stoff ihres Pullovers, darunter ihr Atmen. Verzeih mir, wollte er sagen, aber sie legte die Fingerspitzen auf seinen Mund, und ohne sich aus der Umarmung zu lösen, zog sie ihn mit sich, ins Haus hinein, mit dem Fuß drückte sie die Tür zu. Sie suchte mit den Lippen seinen Mund, Jensen schloss die Augen, im Kuss wurde ihm schwindlig. Die Skijacke wurde ihm unerträglich, es war, als begegne er Annick im Harnisch. Er beendete den Kuss, um die Jacke loszuwerden, ungeduldig zerrte er am Reißverschluss, und als dieser sich nicht sogleich öffnete, riss er die Jacke auf und warf sie weg. Er fühlte sich um ein dumpfes, idiotisches Gewicht erleichtert. Annick umfasste seine Hüfte und drehte ihn, wie in einem Tanz; unter Küssen schob sie ihn vor sich her, zur Treppe.
Hinter dem Schlafzimmerfenster schwebte Schnee zur Erde.
Eine lange Zeit war Jensen frei von jedem Gedanken. Er versank in Annick, auf eine Weise, die er nie zuvor erlebt hatte. Es war ein reines Schweben, das dem der Schneeflocken glich, über allem lag ein Lächeln. Die Geborgenheit, die ihn trug, war nicht auf Annick beschränkt, sie war grenzenlos, sie erfüllte die ganze Welt. Er wünschte sich nicht, dass es immer so bleiben möge. Sondern er wünschte sich gar nichts. Das war der
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