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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Kammer auf; die Lampe im Korridor warf einen scharf begrenzten Lichtfächer ins Zimmer. Der Koffer stand exakt parallel zu einer Seite des Lichtfächers neben dem Bett. Jensen nahm sich die Zeit, diesen kleinen, vollkommen unbedeutenden Zufall zur Kenntnis zu nehmen. Dann erlosch das Licht. Jemand hatte die Zimmertür geschlossen. Eine kleine Schikane von De Reuse wahrscheinlich. Jensenwollte die Tür wieder öffnen und stieß gegen ein Hindernis, vor Schreck setzte sein Herz einen Schlag aus.
    »Ich komme mit«, sagte sie leise.
    »Herrgott noch mal! Können Sie nicht klopfen?«
    Der Duft ihres Parfüms. Es war ein billiges, ordinäres Parfüm. Immer, wenn er es roch, ohne Ilunga Likasi zu sehen, entfaltete es seine Wirkung auf ihn. Und im Moment sah er sie nicht. Sie standen in der kleinen Kammer im Dunkeln, fast Gesicht an Gesicht.
    »Haben Sie verstanden?«, fragte sie.
    »Sie wollen mitkommen. Meinetwegen.« Es gefiel ihm nicht, aber er hatte kein Recht, ihr die Bitte abzuschlagen.
    »Er darf es nicht merken.« Sie flüsterte. »Er würde es nicht zulassen. Gehen Sie jetzt als Erster hinunter. Lenken Sie ihn eine Weile ab, nur zwei oder drei Minuten. Bis ich im Wagen bin. Ich werde dort auf Sie warten. Sobald ich drin bin, steigen Sie ein und fahren los, sofort, was immer auch geschieht. Gehen Sie jetzt.« Sie öffnete die Tür einen Spalt weit und schob Jensen hinaus. Es war jetzt keine Abreise mehr, es war eine Flucht, und immerhin war De Reuse bewaffnet. Jensen trug den Koffer die Treppe hinunter. Der Hund wurde zum Problem. Seinetwegen war es notwendig, noch einmal in die Küche zurückzukehren und erneut De Reuse zu begegnen. Jensen konnte den Hund aber nicht einfach hierlassen, nicht nachdem er voreilig und völlig unüberlegt vor De Reuse ein Versprechen abgelegt hatte.
    Den Hund nehme ich mit! Es hatte sich gut angehört, couragiert und human. In Wahrheit war es absolut unvernünftig. Ihn gefesselt stundenlang zu transportieren würde für den Hund bestenfalls eine Qual sein. Schlimmstenfalls brachte es ihn um. Andererseits konnte man es nicht wagen, ihn vom Klebeband zu befreien, womöglich verbiss er sich in seiner Panik während der Fahrt in Jensens Nacken.
    Hol ihn, hol ihn, du Idiot!, dachte Jensen. In der Küche traf er aber weder De Reuse an noch den Hund. De Reuse hatte ihn also bereits nach draußen gebracht. Jensen ging zur Haustür, die jetzt offen stand. Er trat hinaus in die Kälte, die sich in seinem Gesicht wie Hitze anfühlte, allerdings nur im ersten Moment. Der Wind trieb ihm Tränen in die Augen; er konnte nicht erkennen, ob De Reuse irgendwo lauerte. Er schloss den Wagen auf, warf den Koffer auf den Rücksitz und spielte, nur ganz kurz, mit dem Gedanken, nicht nur den Hund, sondern auch Ilunga Likasi zurückzulassen.
    De Reuse rief Jensens Namen, mit biblischem Pathos. »Jensen! Jensen!«
    Der Wind trug die Stimme in alle Richtungen, Jensen starrte in die Dunkelheit, konnte De Reuse aber nirgends ausmachen.
    »Jensen! Hier sind wir!« De Reuse knipste seine Taschenlampe an, er winkte mit ihr wie Kapitän Ahab auf dem weißen Wal. De Reuse, nur mit seinem Morgenmantel bekleidet, stand zehn oder zwanzig Meter entfernt vom Haus. Der Wind ließ den Mantel flattern.
    »Sie haben Ihren Hund vergessen! Jensen! Er liegt hier, sehen Sie?« De Reuse leuchtete ihn mit der Lampe an. Aus der Entfernung sah der Hund aus wie ein schwarzes Bündel im Schnee. Vielleicht war er schon tot. Aus den Augenwinkeln sah Jensen Ilunga Likasi, die in großer Eile ihren Koffer zum Wagen zog. Um De Reuse von seiner fliehenden Freundin abzulenken, rief Jensen: »Lebt er noch? Der Hund.«
    »Ja, er lebt noch! Ich will verhandeln!«
    Verhandeln!
    »Worüber denn?«, rief Jensen.
    Ilunga Likasi war nur noch vier, vielleicht fünf Meter vom Wagen entfernt.
    »Sie bleibt hier!«, rief De Reuse. »Sie können meinetwegen verschwinden. Aber ohne sie. Wenn Sie allein losfahren, werde ich Ihnen den Hund übergeben. Wenn nicht, töte ich ihn.«
    »Steigen Sie ein!«, sagte Ilunga Likasi. Sie riss die Beifahrertür auf. »Helfen Sie mir mit dem Koffer! Und dann fahren Sie los.«
    »Jensen! Wie lautet Ihre Antwort?«
    Jensen hievte ihren Koffer in den Wagen. Dann stieg er ein, aber er war nicht schnell genug. Bevor er die Tür schließen konnte, hörte er den Knall. Er war nicht besonders laut, ein nebensächliches Geräusch, das der Wind davontrug.

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    E r fragte sie, woher sie das Navigationsgerät habe. Sie

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