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Der Assistent der Sterne

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Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Lachaert, sie sah aus wie eine Schiffbrüchige, die es als Einzige in ein für fünfzig Menschen gedachtes Rettungsboot geschafft hatte.
    »Annick«, sagte Trees Lachaert. Sie streckte die Arme aus. »Hier bin ich, Annick. Setz dich zu mir.« Sie klopfte auf die Plastikfolie.
    »Ich mache Kaffee«, sagte Lachaert, er ging zur Küche und Jensen sah, dass er sich im Flur kurz an der Wand abstützte. O’Hara stieß mit dem Bein gegen den niedrigen Glastisch, der zum Sofa gehörte. Sie lächelte. Sie überschätzt sich, dachte Jensen. Sie benutzte ihren Blindenstock nicht, umsich und ihrer Freundin zu beweisen, dass sie sich hier auskannte.
    »Trees. Wie geht es dir?« O’Hara setzte sich neben ihre Freundin und umarmte sie. Die Plastikfolie knisterte.
    »Wie soll es mir gehen. Mir macht nichts mehr Freude.«
    O’Hara stellte ihr Jensen vor, wieder sagte sie: »Der Polizist.« Nicht: Mein Freund. Nicht: Der Vater meines Kindes. Der Polizist. So als sei ihre Beziehung nicht offiziell genug, um es der besten Freundin mitzuteilen.
    Eine inoffizielle Beziehung, dachte er. Die Bezeichnung gefiel ihm, er fand sie adäquat.
    »Sie sind also Polizist?« Trees Lachaert zog sich den Saum ihres geblümten Kleides über die Knie. Sie schaute ihn erwartungsvoll an.
    »Bis vor Kurzem war ich es«, sagte er. Er setzte sich in den mit weißem Leinenstoff bezogenen Sessel, der das Sofa begleitete wie ein Putzerfisch den Hai. Die Polsterung war noch fabrikhart, wahrscheinlich saß er als Erster hier.
    »Ich möchte Ihnen danken«, sagte Trees Lachaert. »Dass Sie mir helfen wollen.« Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.« Sie weinte.
    O’Hara legte ihr den Arm um die Schulter. »Trees. Es wird alles gut, glaub mir.«
    »Ich habe solche Angst.« Trees Lachaert wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab. »Verstehst du? Ich halte es nicht mehr aus. Es ist einfach zu viel. Ich bin krank«, wandte sie sich an Jensen. »Ich hatte vor zwei Jahren einen Herzinfarkt. Wie alt schätzen Sie mich? Hat Annick es Ihnen gesagt. Wie alt ich bin?«
    »Nein«, sagte Jensen.
    »Gut.« Sie zog ein Taschentuch hervor und schnäuztesich. »Also. Was denken Sie. Wie alt bin ich? Ich bin einundsechzig. Und wie sehe ich aus? Wie siebzig.«
    Ihr spitzes Gesicht, die knochigen Hände, die kraftlosen, strähnigen Haare, die am Scheitel gelichtet waren, ließen sie tatsächlich älter aussehen.
    »Ich hätte sie auf sechzig geschätzt«, log Jensen.
    »Ich war auch sechzig. Einundsechzig«, sagte sie. »Aber jetzt bin ich es nicht mehr. Schauen Sie mich doch an. Ich werde sterben, ich weiß es. Es ist nicht mehr genug Kraft da. Annick. Bitte halt mich fest.«
    »Ja, Trees.«
    »Ich schäme mich so.« Trees Lachaert legte ihren Kopf auf O’Haras Schulter. »Bei der Geburt, weißt du, bekommt jeder Mensch seine Energie geschenkt. Die einen bekommen viel, die anderen weniger. Das ist das Chi. Und mein Chi … ich spüre es, hier, ich kann es spüren, wie es aus meiner Brust strömt, es verschwindet. Ich kann es nicht behalten, wegen der Angst. Man darf keine Angst haben, aber ich habe Angst!«, rief sie. Ihr linkes Bein begann zu zittern. Sie presste die Hand darauf, Tränen rannen ihr über das Gesicht.
    »Ich kann einfach nicht mehr.«
    »Doch, du kannst«, sagte O’Hara. »Trees. Bitte. Herr Jensen ist hier, um dir zu helfen. Du wirst sehen, wenn du es ihm erzählt hast, wird es dir besser gehen. Sag ihm einfach, was passiert ist.«
    Jensen starrte die Stoffblumen an. Er sah einen Zusammenhang, er dachte, dass es vielleicht nur schon genügt hätte, echte Blumen auf das Fensterbrett zu stellen. Aber so einfach konnte es nicht sein.
    Jorn Lachaert brachte auf einem Tablett Tassen und Löffel, alles klirrte in seinen zitternden Händen. Ungeschickt stellte er das Tablett auf den Tisch, viel zu nah an derKante. Jensen stützte das Tablett, es wäre sonst zweifellos gekippt.
    »Der Kaffee …« Jorn Lachaert strich sich über die schweißnasse Stirn. »… der kommt gleich. Und für dich mache ich eine warme Milch«, sagte er zu seiner Frau. »Koffein ist für sie Gift«, erklärte er Jensen. »Wegen des Herzens. Eine schöne warme Milch mit Honig. Das magst du doch.«
    »Ja.« Trees Lachaert schloss die Augen. »Das ist lieb von dir.«
    Jorn Lachaert schaute sie an, und Jensen erkannte, dass Jorn seine Frau liebte, es stand in seinem Blick. Man konnte es in seinen vom Gin getrübten Augen lesen, da war ein

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