Der Assistent der Sterne
also ein Afrikaner sein, aus Westafrika, dort sprechen sie Französisch. Vielleicht ist es aber auch ein Wallone.« Es sollte ein Scherz sein, Jensen brachte kein Lächeln zustande.
Vera Lachaert, dachte er. Wie viele Frauen im flämischen Teil Belgiens hießen so? Zehn? Zwanzig? Mehr bestimmtnicht. Vielleicht hieß auch nur eine so. Die, vor der Lulambo ihn gewarnt hatte.
»Herr Lachaert«, sagte er. »Sie fragten mich vorhin, ob Annick es mir nicht erzählt habe. Etwas, das Ihre Tochter betrifft. Um was geht es da?«
»Um etwas, das ich niemandem wünsche.« Lachaert machte sich nicht mehr die Mühe, das Glas zu füllen, er trank aus der Flasche. »Keinem Vater, meine ich. Und vor allem keiner Mutter.«
»Erzählen Sie es mir.«
»Sie war … sie war fünfzehn Monate alt, als wir …«
Jemand öffnete die Küchentür, es war O’Hara.
»Jensen!«
»Annick«, sagte Lachaert. »Herr Jensen und ich haben uns nur ein bisschen unterhalten.« Er ließ die Flasche verschwinden; er hatte offenbar vergessen, dass es nicht nötig gewesen wäre, sie vor O’Hara zu verstecken. »Wie geht es Trees? Der Kaffee ist gleich fertig. Ich bringe ihn gleich.«
»Lass dir Zeit, Jorn«, sagte sie. »Ich wollte nur Herrn Jensen holen.«
Im Flur blieb sie stehen.
»Sie hat sich jetzt beruhigt«, flüsterte sie Jensen zu. »Bitte versprich ihr jetzt, dass du dich um die Angelegenheit kümmerst. Dass du versuchen wirst, ihre Tochter zu beschützen.«
»Ich werde mit ihr sprechen.« Jensen sagte es in ihr Ohr; der Duft ihrer Haare … er schloss für einen Moment die Augen. »Aber ich werde sie nicht belügen. Ich kann ihre Tochter nicht beschützen. Und ich glaube auch nicht, dass es nötig ist.«
»Sag ihr das ja nicht. Das darfst du ihr nicht sagen. Das macht alles nur noch schlimmer.«
»Ich weiß, was ich tue.«
Das war übertrieben. Er wusste lediglich, welche Frage er Trees Lachaert stellen würde. Er setzte sich im Wohnzimmer in den harten Sessel. Trees Lachaert blickte zu Boden, die Hände zwischen den Knien; auf dem Glastisch lag ein zerknülltes Taschentuch.
»Frau Lachaert«, sagte er. Er wurde die Gewohnheit nicht los, vor einer wichtigen Frage den Betreffenden mit seinem Namen anzusprechen. »Ihre Tochter heißt Vera, nicht wahr?«
Er konnte es noch immer nicht glauben.
Sie nickte.
»Vera«, sagte sie. »Möchten Sie ein Foto von ihr sehen? Sie brauchen doch bestimmt ein Foto. Damit Sie wissen … Ich habe leider kein neues Foto. Das letzte ist fünf Jahre alt. Ich werde es Ihnen holen.«
»Das ist jetzt nicht so wichtig, Trees«, sagte O’Hara. Sie stand unter der Tür. »Herr Jensen wird das Foto später mitnehmen. Aber jetzt möchte er dir etwas sagen.«
»Dieser Féticheur«, fragte Jensen, »wie heißt er?«
»Nein.« Trees Lachaert kniff die Lippen zusammen. »Das kann ich Ihnen nicht sagen.« Sie beugte sich über den Tisch. »Wenn Jorn es erfährt«, sagte sie leise, »wird er ihm etwas antun. Nicht, dass Sie das falsch verstehen. Jorn hat mich nie geschlagen. Nie. Er hat auch Vera nie geschlagen. Nicht einmal eine Ohrfeige. In der ganzen Zeit nicht. Aber ich kenne ihn. Das hier ist etwas anderes. Jorn sagt es mir nicht, aber ich weiß es, ich spüre es. Er glaubt mir nicht. Er glaubt nicht an diese Dinge. Mir zuliebe tut er so, als würde er es glauben. Aber in Wirklichkeit möchte er meinem Féticheur den Schädel einschlagen. Er versteht das alles nicht. Aber Sie. Sie verstehen es, das spüre ich. Sie glauben mir.« Sie schaute Jensen an. »Sonst wären Sie nicht hier.«
»Ihr Mann wird es nicht erfahren, Frau Lachaert. Aber ich muss wissen, wie dieser Wahrsager heißt, sonst kann ich nichts unternehmen. Annick, bitte schließ die Tür.«
Sie tat es.
»Ihr Mann kann uns jetzt nicht hören«, sagte Jensen.
Trees Lachaert winkte ihn näher, er beugte sich gleichfalls über den Tisch, ihre Stirnen berührten sich fast.
»Er heißt Pierre Lulambo«, flüsterte sie.
»Sind Sie sicher?«
»Natürlich.«
»Und wo wohnt er?«
»In Antwerpen.«
»Wo genau?«
»An der Bisschopstraat.« Sie rückte von ihm weg.
Jensen stand auf, er brauchte Bewegung.
»Was ist?«, fragte O’Hara.
Jorn Lachaert öffnete die Tür.
»Warum ist die zu?«, fragte er, niemand antwortete. Er kam ohne warme Honigmilch, ohne Kaffee, aber nicht mit leeren Händen, er stellte eine Schale mit Tuilles auf den Glastisch; Tuilles waren in Brügge unvermeidlich, dünne Schokoladeplättchen, an denen sich jeder Brügger
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