Der Assistent der Sterne
existiert hatte, gab es absolut keinen Grund, vor O’Hara niederzuknien. Reue empfand er ohnehin nicht. Herrgott noch mal! Er hatte doch einfach nur eine Gelegenheit ergriffen. Seit Margaretes Tod hatte er mit drei Frauen je einmal geschlafen, verteilt über einen Zeitraum von fast dreizehn Jahren. Noch seltener waren nur Walsichtungen im Mittelmeer.
Sechs Uhr.
Pünktlich saß Jensen in der Hotelbar, die ihm gehörte, er war der einzige Gast. Auf den Tischchen brannten Teekerzen, für die verstorbenen Gäste, dachte Jensen. Die leeren Barhocker standen eng beieinander, als säßen auf ihnen schwerhörige Geister. Die Ledersessel im englischen Landhausstil schlummerten auf Perserteppichen, außer dem, auf dem Jensen saß, es war sein Stammsessel; er stand in der Nähe eines Buntglasfensters, in dem der Kerzenschein sich merkwürdig verzettelte. Jensen fragte sich, warum er nie auf die Idee gekommen wäre, bei sich zu Hause eine kleine, runde Spitzendecke auf den Tisch zu legen, als Unterlage für eine Kerze oder ein Bierglas. Ihm gefielen diese spießigen Decken, so wie er auch die Jagdszenen an den Wänden mochte, die englischen Herrenreiter auf ihren Pferden mit bleistiftdünnen Beinen. Auf dem Podest der Kaminuhr flohein in Bronze gegossener Fuchs vor der Hundemeute. In der Summe fügte sich in dieser Bar alles zu einer Komposition der Gemütlichkeit, während in Jensens Haus an der Timmermansstraat das Funktionelle und Unbequeme überwog, selbst auf dem Sofa war nur asketisches Sitzen möglich. Seit Margaretes Tod fühlte er sich in seinem Haus nicht mehr wohl, das musste er sich endlich eingestehen. Dass er sich einen Kamin einbauen ließ, war ein erster Schritt. Aber auf diesen Kamin gehörte dann auch unbedingt eine Uhr mit Füchsen und Jägern. Und er musste sich Sessel anschaffen wie diesen hier, handgepolstert, englisches Rindsleder, verknopft: Man versank darin und ließ die Welt sich drehen.
Van der Elst kam herein.
»Darf ich Ihnen ein Beck’s bringen, wie üblich?«
Jensen hatte die Hoffnung, dass ihm das belgische Bier eines Tages schmecken würde, längst aufgegeben. Er trank deutsches Bier, er würde in Brügge als Fremder ins Grab sinken.
Als Van der Elst ihm das Bier servierte, auf einem silbernen Tablett, rief O’Hara an, zum zweiten Mal in einer knappen Stunde, es war offenbar dringend. Er musste es hinter sich bringen, nicht morgen, jetzt. Er drückte den Antwortknopf und sagte: »Ja.«
»Ich bin’s. Bist du wieder in Brügge?«
»Mmh.« Er räusperte sich. »Entschuldige. Ich bin erkältet.« Wie perfid! Aber er musste sich in Acht nehmen, ihr Gehör war auf besondere Weise geschärft. Mehr als einmal hatte sie unter Beweis gestellt, dass sie einen Lügner am Klang seiner Stimme erkannte, und er war sich nicht sicher, ob sie nicht auch eine Verheimlichung heraushörte. »Es war sehr kalt in Island, vor allem nachts«, sagte er, »minus zwölf Grad.«
»Auch nicht viel kälter als hier. Hast du Fieber?«
»Nein.«
»Könnten wir uns dann morgen früh treffen? Ich habe meine Meinung geändert.«
»Bezüglich?«
»Ich glaube jetzt doch, dass du ihr vielleicht helfen könntest. Meiner Freundin. Trees. Von der ich dir erzählt habe.«
»Ich dachte, du willst nicht mit mir darüber sprechen.«
»Das will ich nach wie vor nicht. Aber sie könnte mit dir sprechen. Wenn du einverstanden bist, werde ich sie bitten, mit dir über ihr Problem zu sprechen. Sie wird einverstanden sein. Du warst Polizist, das wird sie überzeugen. Du hast mir doch einmal erzählt, dass du deinen alten Dienstausweis noch hast?«
»Ich habe ihn noch, ja.«
»Dann nimm ihn morgen bitte mit.«
»Moment. Ich sagte noch nicht, dass ich einverstanden bin.«
»Dann frage ich dich noch einmal: Bist du einverstanden?«
»Ja. Aber womit? Erklär mir bitte zuerst, um was es hier geht.«
»Trees wird dir das erklären. So ist es besser.«
»Du willst, dass ich den Dienstausweis mitnehme. Du weißt, was du da von mir verlangst. Es ist unseriös. Offenbar möchte deine Freundin mit einem Polizisten sprechen. Warum geht sie dann nicht zur Polizei? Wäre nicht das besser?«
»Man würde ihr nicht glauben. Du wirst ihr auch nicht glauben. Aber wenn du mit ihr sprichst, wirst du verstehen, warum ich dich wirklich bitte, mir diesen Gefallen zu tun. Fahr morgen mit mir zu Trees. Hol mich um neun Uhr am Kortewinkel ab. Wirst du das tun, Jensen?« Sie rang sich zu dem Wort durch, sie sagte: »Bitte.«
[ Menü ]
10
F
Weitere Kostenlose Bücher