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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Ja.« Jensen hatte zwar nie verstanden, warum die Antwerper Lotsen als die besten der Welt galten. Aber so wurde es erzählt, und die Lotsen selbst hielten ihren Ruf noch für untertrieben.
    »Trees und er sind nach seiner Zwangspensionierung nach Brügge gezogen. Trees stammt von hier. Sie hat Antwerpen nie gemocht, aber Jorn fährt jede Woche zweimal zum Hafen und schaut sich die Schiffe an. Bei jedem Wetter. Er hockt auf einem Poller an der Mole und trinkt Gin. Lachaert bechert, so nennt er das.«
    Hatte sie Lachaert gesagt?
    »Heißt er Jorn Lachaert?«, fragte Jensen.
    »Ja. Warum? Kennst du ihn?«
    »Nein.«
    Ein Zufall. In Belgien hießen viele Lachaert. Nicht sehr viele, aber manche. Einige.
    »Und noch etwas, Jensen. Trees freut sich, dass du kommst. Ich sagte ihr, dass du Polizist warst und ihr vielleicht helfen kannst. Sie ist wirklich sehr froh darüber. Sie wird dir ihr Problem anvertrauen, und, Jensen, ich bitte dich: Hör es dir einfach an. Es wird dir nicht gefallen, du wirst es dumm finden, lächerlich. Aber bitte: Diskutiere nicht mit ihr. Versuch nicht, sie davon zu überzeugen, dass sie sich alles nur einbildet. Hör es dir an und versprich ihr, dass du etwas unternehmen wirst. Den Rest erkläre ich dir später.«

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    11
    D ie Haushälterin wohnte in einem bescheidenen Reihenhaus in der Nähe des städtischen Schlachthauses, der Geruch verbrannter Schweineborsten pfefferte die Luft. Aus den hohen Schornsteinen des Schlachthauses stieg weißer Rauch auf. Die entborsteten Leiber wurden heiß abgebrüht und dann von Marokkanern mit der Motorsägein Hälften geteilt, die noch warmen, dampfenden Organe der Schweine fielen in eine Auffanggrube. Wäre es nach den Touristen gegangen, die Brügge wegen der stillen Kanäle und der verträumten historischen Innenstadt besuchten, hätte es diese Gegend hier gar nicht gegeben. Die Touristen brachten Brügge mit Wasser in Verbindung, in der Hochsaison aßen sie gern Muscheln und Meeresfrüchte, es war ja auch stets vom Meerwind die Rede, von Fähren nach England, vom Hafen, der aber schon vor langer Zeit versandet war. Brügge war zur Binnenstadt geworden, die Küste mochte nahe sein, aber sie war nicht prägend, die Muscheln kamen von weiter her als die Schweine.
    T. u. J. Lachaert, stand auf dem Türschild.
    Jensen zupfte seinen Kaschmirschal zurecht, er wollte sicher sein, dass die Bissstelle auch wirklich zuverlässig verdeckt wurde; den Anblick der Wunde konnte er niemandem zumuten, schon gar nicht O’Haras Freundin.
    Ein grauer, magerer Mann öffnete ihnen die Tür. Er trug ein gebügeltes Hemd mit Krawatte, er hatte sich für den Besuch gut angezogen, aber es schienen die Kleider eines anderen zu sein, der nicht jedes Jahr zwei Kilo an den Gin verlor. Den Gin roch man nicht, das war der Vorteil dieses Getränks, aber Spuren hinterließ er dennoch: ein verräterisches Aderngeflecht auf Jorn Lachaerts Nase.
    »Schön, dass du kommst«, sagte Lachaert. Er schüttelte O’Hara die Hand. Seine Augen waren trübe, die Haare fahl. Wenn er so weitermacht, dachte Jensen, werden seine Hüftknochen bald so kantig sein, dass sich eine Möwe daraufsetzen kann.
    »Jorn. Das ist Hannes Jensen. Der Polizist, von dem ich Trees erzählt habe.«
    »Sie wartet schon auf Sie«, sagte Lachaert. Seine Hand war kalt und feucht. Angst, dachte Jensen.
    »Jetzt kommt aber rein. Es ist saukalt. Was für ein Scheißwetter. Verfluchte Scheiße!« Lachaert warf Jensen einen vorwurfsvollen Blick zu, so als habe er das Wetter mitgebracht.
    »Ja, es ist kalt«, sagte Jensen. Seine Mutter hatte ausschließlich Rotwein getrunken. Alkoholiker waren konservative Trinker; sie blieben dem Getränk, für das sie sich einmal entschieden hatten, nach Möglichkeit treu. In Notzeiten, beispielsweise während eines Spitalaufenthaltes, hatte seine Mutter Parfüm getrunken. Aber sobald wieder Wein verfügbar gewesen war, hatte sie keinen Augenblick gezögert.
    »Die gute Stube«, sagte Lachaert, er bat sie ins Wohnzimmer. »Trees. Schau, wer gekommen ist. Annick ist da. Und der Herr von der Polizei.«
    Die Stube war nicht gut, sie war dunkel und zu klein für das Sofa, das von der Tür bis zum Fenster reichte, auf dessen Vorbrett drei Töpfe mit Stoffblumen standen. Das Sofa war mit einer Plastikfolie bezogen, zum Schutz vor dem Ausbleichen durch das Sonnenlicht, das doch aber durch das winzige Fenster kaum Schaden anrichten konnte. In einer Ecke des riesigen Sofas saß eine Frau, Trees

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