Der Assistent der Sterne
letzter, lebendiger Funke. Die Liebe zu seiner Frau würde das Letzte sein, das der Gin in Jorn zerstörte, und danach würde er sterben. Jorn nickte und ging wieder in die Küche. Neben der Wohnzimmertür hing ein Bild, ein Schiff im Sturm, die Wellen drückten den Bug hoch, aber in der linken oberen Ecke rissen die Wolken auf, es gab Hoffnung: Die Sonne brach durch.
»Trees«, sagte O’Hara. »Am letzten Samstag war dein Geburtstag. Und am Tag vorher, was hast du da gemacht?«
»Nein, es war am Donnerstag«, sagte Trees Lachaert. Sie setzte sich aufrecht hin, den Blick auf Jensen gerichtet. »Am Samstag hatte ich Geburtstag. Aber die Konsultation war am Donnerstag. In Antwerpen. Ich war in Antwerpen.«
Sie schwieg.
»Erzähl es ihm, Trees.«
»Ich mache das immer vor meinem Geburtstag«, fuhr sie fort. »Ich gehe zu einem … Féticheur. Immer vor meinem Geburtstag. Seit Jahren mache ich das.«
»Ein Féticheur«, fragte Jensen. »Ist das ein Wahrsager?«
Sie nickte. »Aber nicht jeder, der sich so nennt, ist einer. Ich suche mir die Féticheure gut aus. Der, bei dem ich war,vor einer Woche … es war genau heute vor einer Woche. Ich war schon viermal bei ihm. Eine Freundin hat ihn mir empfohlen. Bei der ersten Konsultation sagte er: Sie haben eine Halskette verloren. Eine wertvolle Kette, sie hat Ihrer Mutter gehört. Und das war so. Es ist eine Bernsteinkette, meine Mutter hat sie mir vererbt. Ich hatte die Kette Monate zuvor verloren. Das ganze Haus hatte ich abgesucht, denn ich hänge sehr an dieser Kette. Und er sagte: Sie liegt hinter Ihrer Waschmaschine. Und dort habe ich sie gefunden. Er konnte gar nicht wissen, dass ich eine solche Kette besitze, verstehen Sie? Nur Jorn wusste, dass ich sie verloren hatte.«
Wie auch immer, dachte Jensen.
»Und vor einer Woche warst du wieder bei ihm«, sagte O’Hara.
»Ja.« Trees Lachaerts Bein zitterte wieder, aber diesmal unternahm sie nichts dagegen. Sie blickte an Jensen vorbei.
»Ich war dort. Und er fragte mich, ob ich es wirklich wissen will. Es sei nichts Gutes. Ich dachte, dass er mich meint, meine Gesundheit. Dass ich wieder einen Infarkt haben werde. Ich dachte, na gut, vielleicht lässt du dich dann endlich operieren. Ich müsste mich schon lange operieren lassen, aber ich … Aber es war nicht das. Er sagte, dass meine Tochter …« Sie drückte sich die Hände an die Schläfen. »Dass meine Tochter sterben wird«, rief sie. »Dass sie bald sterben wird. Hier in Belgien. Dass ein Mann sie umbringen wird! O mein Gott! Das hat er mir gesagt, Annick. Das hat er gesagt!«
Es tat Jensen leid, dass jemand sich vom Geschwätz eines Wahrsagers dermaßen quälen ließ. Trees Lachaert schlug sich mit den Fäusten an die Stirn, ihre Worte waren nicht mehr zu verstehen.
Jorn Lachaert kam herein, ohne Kaffee. Er stand unter der Tür und sah zu, wie seine Frau in O’Haras Armen sich unter Weinkrämpfen krümmte. Er rieb sich mit dem Handrücken die Tränen unter den Augen weg, dann drehte er sich zu Jensen um und sagte: »Ich schwöre bei Gott, das werde ich nicht zulassen!«
Auch er nahm es also ernst.
»Bei Gott!«, wiederholte er, der Funke in seinen Augen glühte auf. Mit geballten Fäusten drehte Jorn Lachaert sich um, die Küche war sein Refugium, Jensen folgte ihm dorthin. Trees Lachaert war im Augenblick unansprechbar, O’Hara gleichfalls; sie versuchte, ihre Freundin zu beruhigen, und es gelang ihr nicht. Einzig mit Jorn konnte man vielleicht ein vernünftiges Wort reden.
Jensen klopfte an die Küchentür. Lachaert stieß die Tür mit dem Fuß auf und zeigte Jensen den Topf, in dem ihm die Milch verbrannt war.
»Da. Sehen Sie das? Das sind die Nerven«, sagte er. Von der Herdplatte stieg Rauch auf. Aus einer umgestürzten Packung rieselte Zucker auf den Boden. »Sie haben es ja gehört. So geht es schon die ganze Woche. Seit einer Woche weint sie nur noch. Und ich kann ihr nicht helfen. Das ist das Schlimmste. Aber das schwöre ich Ihnen: Wenn ich den in die Finger kriege, diesen Bastard …« Lachaert zerrte eine Schublade auf und begann mit einer Gabel den Topf auszukratzen. »Es ist mir egal, dass Sie Polizist sind. Wenn ich den kriege, kastriere ich ihn mit einer rostigen Konservendose. Zum Glück weiß ich nicht, wo er wohnt. Sie will es mir nicht sagen. Das ist vielleicht besser so. Ist die Tür zu?«
Jensen schloss sie.
»Sie darf das nicht hören.«
»Ich verstehe«, sagte Jensen. »Sie glauben also nicht an diese …
Weitere Kostenlose Bücher