Der Assistent der Sterne
Sie ist eine Kämpferin. Nicht wahr, Annick?«
Sie fuhren in Jorn Lachaerts Wagen weg.
Jensen stand noch eine Weile vor dem Gartentor und schaute ihnen nach. Er hätte nicht zulassen dürfen, dass Jorn Lachaert sich hinter ein Steuer setzt. Allein schon die Quantität, die er in der Küche getrunken hatte, hätte für einen Unfall genügt. Es war Jensen zu spät bewusst geworden. Er war zu sehr damit beschäftigt gewesen, O’Hara zu belügen.
Er setzte sich in seinen Wagen.
Ihre Frage, ob er etwas am Hals habe! So als ahne sie es. Das war doch aber unmöglich. Wie so vieles, das in letzter Zeit geschehen war. Das Unmögliche schien sich auf ihn zu zentrieren. Er rückte in den Mittelpunkt von Ereignissen, mit denen er in keinerlei Verbindung stand. Ein ihm vollkommen unbekannter Pierre Lulambo warnte ihn voreiner Frau namens Vera Lachaert, und kurz darauf stellte sich heraus, dass sie die Tochter von O’Haras Freundin war. Und kaum eine Stunde, nachdem er diese Freundin kennengelernt hatte, weiteten sich ihre Augen in Todesangst, ja, das war es gewesen, Todesangst, und zwar bei seinem Anblick. Der Pfeil zeigte auf ihn, und dass es sich nicht erklären ließ, machte den Pfeil nur noch spitzer. Ihm blieb gar nichts anderes übrig, als im Unerklärbaren zu wühlen. Als Erstes musste er mit Pierre Lulambo sprechen. Und dann mit der Tochter. Um zu erkennen, weshalb es zwischen ihm und Personen, die er nicht kannte, Verbindungen gab, musste er die Verbindung mit diesen ihm unbekannten Personen zuerst einmal herstellen. Das Paradoxe daran hatte immerhin einen gewissen Reiz.
Pierre Lulambo, Bisschopstraat, Antwerpen.
Nein, dachte Jensen. Zuerst noch Hafner Stijnen.
Er hatte einen Termin mit ihm, es ging um den Kamin. Es gab noch Dinge, die vollkommen erklärbar waren und von bestechender Einfachheit.
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12
» D as ist etwas anderes als diese polnische Einbauware«, sagte Hafner Stijnen. Er meinte den Kamin, von dem noch kaum etwas zu erkennen war. Der Anblick der kleinen Baustelle, um die herum alles mit Plastikplanen abgedeckt war, erinnerte Jensen an eine Operation am offenen Herzen. »Handarbeit braucht natürlich ihre Zeit«,sagte Stijnen, der laut Vertrag schon vor zwei Tagen hätte fertig sein müssen.
»Ich verstehe«, sagte Jensen. Neben dem mit Malerpapier abgedeckten Sofa stand eine Reihe Bierflaschen, und es roch nach Zigarettenrauch. Der Hafner und seine Gehilfin, eine junge Frau mit Gipsstaub im Haar, fühlten sich in Jensens Haus offenbar heimisch. Sie tranken Bier, sie rauchten, Jensens Radio stand nicht am üblichen Ort, es dudelte auf dem Fensterbrett. Ein kleiner Heizstrahler rauschte, dennoch fror Jensen an den Händen. »Und um die Heizung«, sagte er, »werde ich mich kümmern.«
»Das ist sehr wichtig«, sagte Stijnen, zwischen dessen Schneidezähnen eine auffällige Lücke klaffte. »Ich hätte Sie sonst nicht angerufen. Das Material muss gut durchtrocknen. Wir brauchen hier drin achtzehn Grad, mindestens. Und dieser Heizstrahler hier …« Er schaute das Gerät an und schüttelte den Kopf.
»Ich erledige das«, sagte Jensen. Die Bisswunde schmerzte jetzt bei jeder Bewegung. Er ging in den oberen Stock. Im Badezimmer wickelte er den Schal vorsichtig vom Hals. Die Wunde war feuerrot. Eine halbe Stunde Lust und dann dieses Signal, wie ein Leuchtfeuer! Er fand es vollkommen übertrieben, das Ganze hatte etwas Mittelalterliches: Ein Mal der Unkeuschheit, der gebrandmarkte Ehebrecher, Gott ein Gräuel. Jensen suchte im Spiegelschrank nach einer Salbe; es war aber nur eine Packung Aspirin da. Sowie die Ischias-Salbe, die er oft benutzen musste, deren ätherische Öle aber sehr invasiv waren. Auf der Tube wurde ausdrücklich davor gewarnt, sie bei offenen Wunden anzuwenden.
Jensen verband sich den Hals wieder mit der weichen Kaschmirwolle und ging hinunter in die Küche. Im Spültrog lag noch immer das unabgewaschene Geschirr jener Mahlzeiten, die er vor seiner Übersiedlung ins Hotel eingenommen hatte. Jensen schämte sich für den Schimmel und die Gerüche. Bestimmt hatten der Hafner und seine Gehilfin sich darüber unterhalten, es stank ja vom Spültrog her. Es gab so viel zu erledigen, vor allem, was Wärme betraf. Die Heizung seines Hauses war defekt, die Wagenheizung funktionierte gleichfalls nicht. Auf der Fahrt von Trees Lachaerts Haus hierher hatte er erfolglos alle Schalter auf Maximum gedreht. Die Abwärme des Motors schien auf dem Weg in den Fahrgastraum von einem Hindernis
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