Der Assistent der Sterne
schon einmal übergessen hatte, sodass niemand mehr wirklich Lust auf sie hatte.
»Annick«, sagte Lachaert. »Könntest du mir vielleicht mit dem Kaffee helfen?«
»Ich kann es versuchen.«
»Du brauchst mir nur zu sagen, wie man es macht. Und deine Milch«, wandte er sich an seine Frau. »Ich bin gleich soweit.«
Die beiden gingen in die Küche, Jensen war mit Trees Lachaert allein.
»Pierre Lulambo«, sagte er. »Und es ist ein Afrikaner?«
»Ja. Aber warum? Es geht doch nicht um ihn. Was haben Sie denn jetzt vor? Er kann doch nichts dafür.« Sie presste beide Hände auf ihr Bein, um es ruhigzustellen. »Ich hätte Ihnen den Namen nicht sagen dürfen! Sie müssen ihn in Ruhe lassen, bitte! Hier geht es um meine Tochter! Um niemanden sonst!«
Jensen ließ ihr Zeit, sich zu beruhigen. Über dem Fernseher hing eine gerahmte Fotografie, ein Lotsenschiff, gepolstert mit Autoreifen; es pflügte sich durch das braune Wasser der Schelde.
»War das das Schiff Ihres Mannes?«
»Was?«
»Das Schiff auf dem Foto.«
Trees Lachaert schaute es an, als sehe sie es zum ersten Mal.
»Jorn war Lotse«, sagte sie.
»Und Pierre Lulambo. Kennt er Ihre Tochter?«
Sie stützte den Kopf in die Hände.
»Nein. Bitte«, sagte sie. »Er weiß doch nichts von ihr.«
Aber er kannte ihren Namen, dachte Jensen.
»Er konnte gar nicht wissen, dass ich eine Tochter habe. Ich habe es ihm nie gesagt. Er hat es einfach … gesehen.«
»Wo wohnt Ihre Tochter? In Brügge?«
»Nein.«
»Wo dann?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es nicht.«
»Sie wissen nicht, wo Ihre Tochter wohnt?«
»Und Sie? Was wissen Sie? Sie wissen gar nichts!«, rief sie. Sie zeigte mit zwei gekrümmten Fingern auf ihn, es sah aus wie eine Beschwörungsgeste. »Sie wissen überhaupt nichts«, sagte sie leise, und dann verstummte sie, sie ließdie Bannfinger sinken, mit offenem Mund starrte sie Jensen an, die Farbe wich aus ihrem Gesicht.
»Ist Ihnen nicht wohl?«, fragte er. Er konnte sich das Entsetzen in ihren Augen nicht erklären. Sie drückte sich die Hand auf die Brust, ihr Mund öffnete und schloss sich, als versuche sie, etwas zu sagen. Ihr Gesicht verfärbte sich jetzt bläulich.
Ein Infarkt, dachte er. Die Aufregung, die Angst um ihre Tochter. Aber warum, dachte er, schaut sie mich so an?
»Frau Lachaert. Soll ich einen Arzt rufen? Haben Sie Schmerzen in der Brust? Atemnot?« Auf seinem Handy war noch immer die Nummer des Notfallarztes gespeichert, er hatte sie früher oft gebraucht.
»Sie!« Trees Lachaert erhob wieder die Finger gegen ihn. Sie holte Atem, sie röchelte, ein merkwürdiges Knacken war zu hören.
»Sie müssen sich beruhigen«, sagte er. »Es ist alles in Ordnung. Sie müssen sich jetzt nur hinlegen. Ich helfe Ihnen.« Ihre Schultern fühlten sich hart an, ihr Körper zitterte wie im Schüttelfrost. Jensen versuchte, sie in Seitenlage hinzubetten.
»Fass mich …!«, keuchte sie. »Fass mich nicht an!« Sie schlug auf ihn ein, traf ihn am Hals, die Bisswunde schien zu explodieren. Vor Schmerz biss er sich auf die Lippen.
»Ruhig«, sagte er. »Alles ist gut.« Er drückte sie aufs Sofa, sie bäumte sich auf, es war ein Kampf. »Atmen Sie ruhig«, sagte er und rang selber um Atem, »ruhig und gleichmäßig. Es wird gleich ein Arzt hier sein.«
»Fass mich nicht an!«, sagte sie. »Du schwarzer Geist!«
Sie halluziniert, dachte er. Ihre Pupillen rollten unter die Lider, ihre Augen drehten sich, bis das Weiße hervortrat, und ihr Körper wurde leicht und biegsam. Die Luft, die aus ihrem Mund entwich, streifte sein Gesicht.»Das ist die Kälte«, sagte der Notarzt. Er trug unter seinem weißen Kittel einen Wollpullover mit weiten Maschen.
Selbstgestrickt, dachte Jensen, ein Weihnachtsgeschenk seiner Frau.
Sie standen draußen, vor dem Gartentor; die Lichter des Ambulanzwagens zuckten. Auf dem Haar des Notarztes lag ein Schneehäubchen; es schneite wie in den Alpen, ganz unüblich für Brügge.
»Für Herzkranke ist die Kälte Gift«, sagte der Notarzt, während er Trees Lachaerts Personalien in ein Formular eintrug. »Allein in dieser Woche hatte ich elf solcher Fälle. Die meisten erwischt es beim Schneeschaufeln. Wir tun, was wir können«, sagte er zu Jorn Lachaert, der in seinem blauen Hemd neben dem Ambulanzwagen stand, mit den Pantoffeln im Schnee.
»Ich komme mit«, sagte Jorn Lachaert.
»Gut. Fahren Sie uns nach. Aber bei Rot fahren nur wir über die Kreuzung. Vergessen Sie das nicht. Für Sie gilt die
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