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Der Atem der Angst (German Edition)

Der Atem der Angst (German Edition)

Titel: Der Atem der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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Brandwunde an ihrem Arm abdeckte. Als sie wieder aufschaute, entdeckte sie ein gutes Stück von ihr entfernt etwas an einem Baum. Etwas, das dort an einem Ast hing. Maya konnte nicht ganz genau erkennen, was es war, aber sie spürte das Fremde, das von ihm ausging. Das Tote. Vorsichtig kroch sie ein Stück näher heran.
    » Hier oben?«
    Lukas starrte hilflos vor sich hin. Was war hier eigentlich los?
    Rechts von Maya, im aufgeweichten, schwarzen Boden, entdeckte sie Spuren, die sich nur scheinbar im dichten Farn verloren. Ihr aber verrieten die umgeknickten Halme die Fährte, die direkt zu dem baumelnden Etwas führte. Maya zog ihr Jagdmesser aus dem Gürtel und bewegte sich in der Hocke von Baumstamm zu Baumstamm.
    » Sei bloß leise!«, befahl sie Lukas. » Sonst erwischen die uns.«
    Als sie nur noch wenige Meter von dem Baum entfernt war, breitete sich die Panik in einer gewaltigen Welle von der Mitte ihres Körpers in alle Gliedmaßen aus. Ihre Haut wurde eiskalt, ihre Kehle war wie zugeschnürt. Dort, im aufsteigenden Nebel, im gleißenden Sonnenlicht, hing ein Mädchen an einem Ast. Die blonden Haare klebten in feuchten Strähnen auf ihren Wangen. An den Füßen trug sie schmutzigweiße Turnschuhe, sie hatte enge Jeans und eine Kapuzenjacke mit Reißverschluss an.
    » Großer Gott! Was haben sie denn mit der gemacht?« Maya duckte sich tief in den Farn hinein. War das eine Falle? Gestern die Stimme in der Grube. Heute das Mädchen am Baum. Hatten die Widerwärtigen sie längst entdeckt? Und spielten jetzt nur noch ihr grausames Spiel mit ihr? Wen sonst konnten sie mit all dem meinen, wenn nicht sie, Maya, nach der sie jahrelang gesucht hatten?
    » Ich werde nicht so enden.« Maya spürte ihren Puls zwischen den Augen hämmern. Sie lag im Farn und lauschte. Da war nichts. Außer dem Wind in den Wipfeln. Das sanfte Rauschen. Das Schäumen des Wasserfalls. Was, wenn der Wald voll von ihnen war? Von toten Mädchen. Von Widerwärtigen. Hinter ihr knackte es. Sie fuhr herum und riss den Beutel mit Lukas von ihrer Schulter. » Schscht!«
    Aber da war nichts. Nur Panik! Und eine Taube, die aus dem Dickicht emporflatterte und sich weit oben zwischen den Zweigen der Bäume im strahlend blauen Himmel verlor. Mayas Herz wummerte. In ihrem schmerzenden Mund klebte die Zunge am trockenen Gaumen. » Bleib hier!«, flüsterte sie Lukas zu. » Ich komm gleich zurück.«
    Sie brauchte Bewegungsfreiheit.
    Maya drückte die federförmigen Blätter zur Seite und ihr Blick glitt über den giftgrünen Farn. Schräg unter dem hängenden Mädchen lag ein umgekippter Getränkekasten im platt getretenen Gras. Nur eine Fußspur führte zum Baum. Es war also nur einer hingegangen, aber keiner zurück. Maya richtete sich wieder auf und bewegte sich langsam auf das Mädchen zu. Es widerstrebte ihr, dorthin zu gehen. Das Mädchen war ungefähr so alt wie sie. Sie trug einen silbernen Ring und mehrere Armbänder ums Handgelenk. Ihr Nagellack war abgeplatzt. Am Kiefernstamm gegenüber war eine Taschenlampe mit Klebeband befestigt. Maya riss die Lampe runter und klemmte sie sich unter den Gürtel. In einer Astgabel steckte ein Handy. Sie tippte ein paar Mal darauf. Es war leer. Was zum Teufel war hier passiert?
    Maya klopfte die Jeanshosentaschen des Mädchens ab und fand in der vorderen ein gelbes Päckchen Juicy-Fruit-Kaugummi. So ein Teil hatte sie seit sieben Jahren nicht mehr in der Hand gehabt. Die Turnschuhe mit den Sternen auf Knöchelhöhe zog sie dem Mädchen von den Füßen. Sie knüpfte die Schnürsenkel an den Enden zusammen und warf sie sich über die Schulter. Es war nicht leicht, dem toten Mädchen die Jeans von den steifen Beinen zu ziehen. Durch die Feuchtigkeit klebte sie förmlich an ihnen fest. Mit der Kapuzenjacke ging’s einfacher. Dieses Vorgehen widerstrebte Maya wirklich. Ihr Leben im Wald hatte sie hart gegen sich gemacht, aber sie wusste immer noch, was es hieß, einen Toten zu bestehlen. Dennoch waren die Kleider des Mädchens ihre Chance, aus ihrer ausweglosen Lage herauszukommen. Damit konnte sie ihre Fellkleider loswerden und hinunter nach St. Golden gehen, ohne gleich erkannt zu werden. Das T-Shirt sollte das Mädchen behalten. Sie hätte es ihr ohnehin nicht über den Kopf ziehen können und ganz nackt wollte Maya es nicht hängen lassen.
    Ihr Vater hatte recht behalten. Es gab die Widerwärtigen. Sie schienen noch stärker geworden zu sein, und sie gingen grausamer vor, als Maya es sich je hätte vorstellen

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