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Der Atem der Apokalypse (German Edition)

Der Atem der Apokalypse (German Edition)

Titel: Der Atem der Apokalypse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Pinborough
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sehen, aus welchem Holz du geschnitzt bist, du und deine Wut und das Unrechtsempfinden. Ich musste wissen, wie sehr du uns ähnelst, zum Beispiel meinem alten Freund.«
    »Alles nur, weil ich so schlecht drauf war?«
    »Nein. Ich glaube, es hatte mit deiner Ablehnung dieser Jenseitigkeit zu tun, obwohl sie doch so stark in dir vorhanden ist. Du hast sie nicht beachtet, hast dich geweigert hinzusehen. Du liebtest
diese
Welt und dafür, glaube ich, habe ich
dich
geliebt.«
    Cass sah stur auf die Straße. Plötzlich war der Wagen voller verwandter Geister, die alle Bauern in Mr Brights Schachspiel gewesen waren. Er fürchtete sich davor, in den Rückspiegel zu sehen und Christians blutende Augen dort zu entdecken oder das verbrannte, gequälte Gesicht seines Vaters. Am Anfang des Gesprächs hatte er mit allem Möglichen gerechnet, jedoch nicht damit, dass alldem Zuneigung zugrunde lag.
    »So behandeln Sie also Menschen, die Sie mögen?«, murmelte Cass. »Dann möchte ich nicht wissen, was Sie mit denen machen, die Sie hassen.«
    Mr Bright gluckste, ein freundliches humorvolles Geräusch, das ihn einlud mitzulachen, doch das hatte Cass’ Meinung nach noch ein bisschen Zeit. Dafür standen noch zu viele ungelöste Probleme zwischen ihnen.
    »Wenn Sie die Wahrheit sagen«, sagte er, »und Luke nicht Luke ist, sondern dieser Erste, wie Sie ihn nennen – wo ist dann mein Neffe?«
    »In Sicherheit.«
    »Wie konnten Sie ihm das antun? Einem kleinen Jungen?« Das freundliche Glucksen und diese grausame Tat passten einfach nicht zueinander. War Bright ein Psychopath? Das würde Cass wirklich nicht überraschen.
    »Ich musste viele Dinge tun, für die sich normale Menschen schämen würden. Nach einer Weile lernt man, nicht mehr darüber nachzudenken. Dann konzentriert man sich auf das Allgemeinwohl.«
    »
Wessen
Allgemeinwohl?«
    »Ist das nicht immer die Frage? Ich möchte gerne glauben, dass es um das
globale
Allgemeinwohl geht – eures
und
unseres –, auch wenn es manchmal mehr das des einen als das des anderen ist, und obwohl ich lügen müsste, um zu behaupten, dass ich jemals die Sache der Menschheit über unsere eigene stellen würde – und ich habe dich
nie
angelogen, Cassius –, gehen beide oft Hand in Hand. Was ich Luke angetan habe«, sagte er mit leiserer Stimme, »habe ich getan, um meinem Freund das Leben zu retten. So einfach war das. Selbstverständlich brachte es noch andere Vorteile mit sich, denn er ist unser Anführer, aber für mich ging es darum, meinem Freund das Leben zu retten.«
    »Sehr dankbar scheint er Ihnen dafür nicht zu sein.«
    »Nein.« Mr Bright sah aus dem Fenster. »Aber was ich getan habe, kann ich nicht ungeschehen machen. Und niemand legt sich zweimal mit mir an.«
    Sie fuhren schweigend weiter. Nur die Schlaglöcher und das Brummen des Motors begleiteten geräuschvoll die Fahrt. Cass dröhnte immer noch der Schädel, doch vielleicht kreisten seine Gedanken so schnell, dass er wieder zur Ruhe kam. Möglicherweise war Mr Bright doch kein Ungeheuer – konnte überhaupt jemand so böse sein?
Niemand legt sich zweimal mit mir an.
Vielleicht wollte Cass nicht wissen, wie ähnlich sie sich eigentlich waren. Er konnte nicht abstreiten, dass es ihn trotz der Geschichte mit dem Vertauschen von Lukes Körper auf sonderbare Weise tröstete, Bright dabeizuhaben – fast wie einen Bruder. Lag es am
Leuchten
, dass er einen Gleichgesinnten wiedererkannte? Lief im Endeffekt alles darauf hinaus?
    »Er hatte kein Leuchten«, sagte er nach ungefähr zehn Minuten wie aus dem Nichts. »Darum habe ich ihn erschossen. Er hatte kein Leuchten.«
    Mr Bright drehte sich um und starrte ihn an. Später nickte er, als wäre das eine logische Begründung. Er beugte sich vor und schaltete das Radio an. Bing Crosby erfüllte das Auto mit einem Lied über Röstkastanien über offenem Feuer. Cass hätte den Moment gerne genossen und fragte sich, ob er sich je wieder an so einfachen Dingen erfreuen könnte. Doch wann hatte er das überhaupt je getan? Vor seinem inneren Auge zogen mehrere Weihnachtsfeste mit seinen Eltern, seiner Frau, Christian, Jessica und Luke vorbei. Es war der falsche Luke gewesen, und doch hatte er ihn gern gehabt. Sein eigenes Lachen hatte immer falsch geklungen und er war stets froh gewesen, wenn die Festtage wieder vorbei waren und die Welt sich wieder in ihrem bangen Unwohlsein einrichten konnte.
    »Ich liebe Weihnachten.« Mr Bright lächelte. »So viele schöne

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