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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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ein Vulkan. Gabriel zeigte auf ihn. »Pico Alto«, sagte er. Er war schon dort gewesen. Doch der Vulkan befand sich nicht auf dieser Insel, sondern weiter weg, auch wenn er so nah wirkte, als könne er uns alle in seinen heißen Bauch hinunterschlucken. Ich erwähnte ihm gegenüber, wie seltsam ich es fände, dass Menschen so dicht bei solchen Bergen wohnten, obwohl sie doch die ganze Zeit wüssten, dass die plötzlich explodieren und alles unter Asche und Feuer begraben könnten. Da lachte er und stupste mich mit seinem Ellbogen. »Und die Welt dreht sich weiter«, sagte er.
    Eine große graue Felsnase ragte hinter der Stadt empor. Jetzt bin ich in einer fremden Welt, sagte ich stumm zu mir. Dort, wo die fremden Sprachen beginnen, das unbekannte Leben, wo Berge Rauch und Feuer speien und selbst die Erde unter den Füßen eine andere Beschaffenheit hat.
    Wir würden Öl gegen Gemüse und Schweine eintauschen, verkündete der Kapitän. Am nächsten Morgen würden wir losfahren, sobald es hell sei. Wir ließen Yan, unseren Koch Wilson Pride und noch ein paar Männer an Bord zurück und ruderten nach dem Frühstück in den Fangbooten an Land. Ich war noch nie im Leben gerudert, und meine Schultern taten teuflisch weh,
als wir endlich den überfüllten Hafen erreicht, unsere Fässer den Strand hochgerollt, sie mit einem Zapfhahn versehen hatten und gemeinsam darauf warteten, dass Proctor das Amtliche mit den dafür zuständigen Leuten regelte, wer immer die waren.
    Wir warteten eine Stunde. Menschen kamen zum Strand, barfüßige Frauen mit dunklen Augen und schwarzem Haar, die einander mit lauten, schnarrenden Stimmen überschrien, alte Männer, alte Weiber mit Umschlagtüchern, kreischende Kinder, die uns mit schrillem Singsang umringten. Sie brachten Kartoffeln und Zwiebeln, Bohnen, Feigen und Äpfel, verschreckt blickendes Geflügel, das in Holzkäfigen litt. Von ihrer Sprache, einer heiseren Mischung aus Portugiesisch und Englisch, verstand ich nichts, aber John Copper konnte ein bisschen reden. »Nao ainda«, erklärte er ihnen freundlich, »logo, logo«, und ich beschloss, wo immer ich auch hinkommen würde, sehr gut aufzupassen und möglichst viel von all den verschiedenen Sprachen aufzuschnappen. Wenn ich ein Vagabund werden wollte – und das wollte ich –, war das zwingend notwendig. So wie die Sprache im Moment für mich klang, hätten sie auch Vögel sein können, diese fremden Menschen. So ging es nicht weiter! Der schlichte, unauffällige John Copper erntete meine Bewunderung für seine Fähigkeit.
    Respektvoll wichen die Menschen zurück, als der Kapitän mit Rainey, Comeragh und Henry Cash zum Strand hinunterkam. Der Hund rannte vor und zurück, umkreiste sie, als wollte er sie zusammentreiben.
    »Samson«, rief Proctor, »bei Fuß, bei Fuß!«
    Der Hund verschaffte uns allgemeine Aufmerksamkeit, und wir warteten auf Anweisungen.
    Kapitän Proctor sagte, der Handel könne jetzt beginnen. Simon Flower solle zusammen mit Martin Hannah das Abmessen übernehmen. Wer möge, könne einen Rundgang an Land machen, wer lieber zum Schiff zurückwolle, solle das tun. »Ich
wünsche, dass ihr ehrlich handelt«, erklärte er, während er mit seiner bleichen, sommersprossigen Hand den Hund hinterm Ohr kraulte. »Und bei dieser Gelegenheit«, fuhr er fort und räusperte sich, »möchte ich diejenigen unter euch, die an Land bleiben wollen, daran erinnern, dass ihr Gäste auf der Insel seid. Jedes Fehlverhalten« – er machte eine Pause – »was auch immer es sein mag« – Pause . . .
    Der sanftäugige Samson hechelte sabbernd und winselte.
    ». . . wird mit äußerster Strenge bestraft.«
    Er musterte uns scharf mit seinen fragenden blassblauen Augen, als suche er nach Widerspruch.
    »Mit äußerster Strenge«, wiederholte er versonnen.
    Mr Rainey trat aus der kleinen Reihe hervor, die er mit Comeragh und Cash bildete. Wieso Cash? Der stand mit seinem abgeklärten halben Lächeln dabei, als wäre er schon Offizier.
    »Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf«, sagte Mr Rainey.
    »Aber selbstverständlich, Mr Rainey«, erwiderte Kapitän Proctor freundlich.
    »Mir scheint, dass Copper vielleicht eine passendere Wahl wäre als Hannah, Sir. Copper versteht ein paar Brocken der einheimischen Sprache. Und Hannah, soviel ich weiß, nicht.«
    Es entstand ein kurzer peinlicher Moment. Kapitän Proctors Hand kraulte den Hund nicht mehr. Cash nickte knapp, und Comeragh blickte weg. Die Augen des Kapitäns

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