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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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leichten Stups.
    »Denkst du jemals an zu Hause?«, fragte ich.
    Er überlegte.
    »Natürlich.«
    »Du machst nicht den Eindruck. Du sprichst nie davon.«
    »Na, du doch auch nicht.«
    »Wahrscheinlich.«
    Dann eine längere Pause. »Jeder denkt an zu Hause«, sagte er, »aber es tut nicht gut, die ganze Zeit davon zu faseln.«
    »So wie Dan.«
    Das stimmte. Wie Dan, wenn er betrunken und sentimental mit verhangenen Augen auf Alice anstieß und sich an das erste Lächeln seines Jüngsten erinnerte.
    »Stimmt. Aber so ist Dan eben.«
    »Wenn er so wild auf Heim und Herd ist«, überlegte ich, »wieso betreibt er dann diese Art von Geschäften?«
    Tim schnaubte leise. »Vielleicht wäre sie ja nicht so bezaubernd, wenn er die ganze Zeit mit ihr zusammen sein müsste.«
    »Kannst du dich noch an das Bier erinnern?«, fragte ich, »von dem Kräutermann?«
    »Ach, was gäbe ich nicht für ein herrliches kühles Glas von diesem Wurzelbier! Erinnerst du dich noch an den Duft?«
    Ganz deutlich. Ein Spalier aus Kräutern über dem Stand des Kräutermannes, Rosmarin, Kamille, milchiges Mutterkraut.
    »Samstagabend im Spoony«, sagte Tim.
    Schieb dich durch eine Schwingtür in die Wolken aus Qualm und Gelächter, schneid dir ein Klötzchen Tabak zurecht und rauch ihn mit einer Flasche Wein, bis dein Kopf benebelt ist und du im trüben Schein der Gaslaterne durch den schmalen Gang spazierst und unter dem Tuchvorhang in den Tanzsaal schlüpfst, der vom Getrampel der vielen Füße vibriert. Mädchen mit rubinroten Lippen und hüpfenden Brüsten, Matrosen der Handelsmarine mit schräg sitzendem Käppi. Der Dudelsackpfeifer und seine wilden Ellbogen, fliegende Metallabsätze. Eine goldene Uhr schief über dem Kamin.
    »Mensch, ja«, sagte Tim, »oh Heimat, du Süße. Hast du immer noch Angst?«
    »Ja.«
    »Wird schon werden«, sagte er, »komm, gib mir deine Hand.«
    Ich streckte sie aus, und er nahm sie. »Weißt du was«, sagte er, »wenn ich nach Hause komme, werde ich Familienoberhaupt.«
    Danach schwiegen wir endgültig. Ich dachte an Ishbel und ihre Mutter, die gemeinsam in dem Haus lebten, und fragte mich, wie sie zurechtkamen. Ishbel würde sehr gereizt sein. Ihre Mutter machte sie rasend. Wahrscheinlich würden sie den alten
Mann gar nicht besonders vermissen, die Nixen hatten nie viel eingebracht, aber sie würden froh sein, wenn Tim wieder daheim war. Ich sah Ishbel im Geiste vorm Kamin sitzen und übellaunig an ihren grässlichen Nägeln kauen. Was machte sie jetzt? Sicher gehörte sie jemandem, hübsch, wie sie war. Wahrscheinlich gingen sie aus, sie und irgendein Galan, ein Matrose. Ich dachte lieber nicht darüber nach.
    Als Tim einschlief, glitt seine Hand aus meiner. Was mich betraf, so machte ich bis sieben Glasen kein Auge zu, und dann lohnte es sich kaum noch.
     
    Zwischen haushohen Felsen, überwuchert von wilden Pflanzen, die wie erstarrte Explosionen aussahen, ruderten wir an Land. Ein Wasserlauf stürzte eine steile, bewaldete Schlucht hinab. Sie begrenzte die eine Seite einer geschützten hufeisenförmigen Bucht, die von buttergelb blühenden Bäumen gesäumt war und am anderen Ende durch einen langen rostroten Felssporn abgeteilt wurde. Weiter hinten und weiter oben neigten sich, stufenförmig geschichtet, schlanke, struppige Palmen alle elegant in eine Richtung, als wären sie im Begriff, sich selbst aus der Erde zu ziehen und zu einer dramatischen Wanderung aufzubrechen. Zu beiden Seiten der Bucht ragten steile Klippen empor.
    Und da liefen wir nun wie die größten Narren am Strand umher und warteten, mit Stöcken bewaffnet, auf den Drachen. Der Sand war feucht, hier und da mit Steinen bestreut, und der Himmel war grau und abweisend kühl, aber ich war schweißgebadet. Die Hitze schien sowohl von innen wie von außen zu kommen, als würden meine Organe langsam im Ofen meines eigenes Fleisches schmoren. Draußen in der Bucht lagen vier oder fünf Inseln, rundliche Hügel von zottigem Grün. Der Käfig stand an der schmalsten Stelle der Bucht. Wenn es je einen drachenhaften Ort
gab, dann diesen hier. Die beiden Arme der Bucht reckten sich ins offene Meer hinaus, lange reptilienartige Gebilde, halb
unter Wasser, dunkelgrau, schwarz, mit länglichen Mäulern, bereit zum Zuschnappen. Der schuppige, schlammig rostfarbene Sporn, der laut Dan ein zum Strand geflossener Lavastrom war, hätte die lange Klaue eines Riesenfußes sein können. An manchen Stellen sah der Felsen breiig und matschig aus, als hätte ein

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