Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch

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die Welt, die Wildheit, und ich blicke ihr, so scharf ich kann, ins Gesicht. Ich möchte gern die Hänge eines Vulkans erklimmen und in seinen Schlund hinabschauen. Es wäre so, als sähe ich einem Tier in die Augen. Ein Vulkan hat etwas Drachenhaftes. Wieso sollte es in dieser Gegend nicht auch Drachenwesen geben? Drachenhafte Menschen? Als wir uns Pulau Lomblen näherten, dräute ein Vulkan wie ein lebendiger Riese jenseits der Bucht, und ein zweiter wachte über uns, als wir am anderen Ende der Insel mit den Waljägern sprachen und die Kinder zu spielen aufhörten und an den Booten vorbeirannten, die am buchtenreichen Ufer aufgereiht waren, weil sie sehen wollten, wie der Kapitän, die Offiziere und Dan zusammen mit ihren lendenbeschurzten Vätern im Kreis saßen. Und Tim und ich ebenfalls, die zwei auserkorenen Gehilfen des großen Jägers. Selbst der Kapitän machte inzwischen praktisch Kotau vor Dan, und das war auch der Grund, weswegen wir unten am Strand und nicht bei einem guten Essen in der Inselhauptstadt saßen, wo es eine Dominikanerkirche und eine Art Gasthaus gab und wo man Schnitzereien aus Walrossknochen kaufen, sich betrinken und zusehen konnte, wie die Perlenfischer in ihren Booten zurückkehrten. Mir lief der Schweiß am Körper hinunter. Hübsche Gesichter, schwarze Augen, Frauen, die mit bloßen Brüsten in ihren kleinen, strohgedeckten Pfahlbauten hockten. Eine, ich werde sie nie vergessen, kam herunter und reichte uns Milch in einer großen grünen Kokosnussschale, ein Mädchen von vielleicht zwölf Jahren mit Brüsten wie Knospen und Kinderhänden und Fingernägeln wie kleine rosa Perlen. Sie stand da und wartete auf die leere Schale und sah mir einen Moment lang ruhig und nachdenklich in die Augen. Ihre glatten Haare umrahmten
das Gesicht, fielen ihr dick und drahtig über die Schultern und reichten bis zur Taille. Die feinen Brauen über ihren schläfrigen Augen waren zarte, rauchige Federn, spitzbogig und aufwärts geschwungen. Ihre Nase war groß und herrlich, ihr Mund aufgeworfen. Ich verliebte mich auf der Stelle in sie. Ja, ja, hier werde ich ein Waljäger sein, dachte ich, mit den Booten hinausfahren und ruhmreich zurückkehren. Abends zu ihr zurückkehren. Die Welt ist voller Wunder. Und nie mehr die Laube des Kräutermannes in der Rosemary Lane riechen und nie mehr die abblätternden Plakate draußen an den Wänden von Paddy's Goose sehen.
    Wunderbar, dass Dan mit diesen Menschen reden konnte. Nur er konnte das, weiß der Himmel, in welcher Sprache er es tat. Ich hörte Englisch und Portugiesisch, sogar Latein in dem Kauderwelsch, und alles durchmischt mit der Sprache der Eingeborenen. Aber sie schienen zu verstehen und warfen die Worte von einem zum anderen und im Kreis.
    » Oh Herr« , sagte Sam, » gib uns morgen einen guten Tag.«
    Mit gesenkten Köpfen standen wir da und fassten uns an den Händen wie brave Kinder.
    Oh Herr, wir danken dir für gutes Wetter.
    »Amen«, murmelten wir.
    Dann sagten wir das Vaterunser auf –
    – erlöse uns von dem Übel –
    ließen die Köpfe hängen und dachten an Kannibalen, an Sümpfe und Monster, die uns am nächsten Morgen erwarteten. Seit wir von Pulau Lomblen aufgebrochen waren, hatte Bill ununterbrochen geredet. Nicht in tausend Jahren würde man ihn in diesen Gewässern an Land kriegen, sagte er, und Joe Harper stimmte ihm zu. Es gebe Stämme auf diesen Inseln, die fänden genauso wenig dabei, Menschen zu essen wie Huhn oder Fisch, erklärten sie, und als Tim meinte, Dan kenne sich aus und werde alles richtig machen, fragten sie, woher er das wisse? Ob Dan etwa jede einzelne Insel kenne? Ob das etwa jemand behaupte?
Und wenn es auf dieser speziellen Insel so ein Drachenwesen geben sollte, das noch nie, nie gesehen worden sei, dann müsse das ja wohl eine wilde Insel sein, oder? Eine, von der niemand wüsste. Auf so einer Insel könne es alles Mögliche geben.
    Einem Kannibalen in die Augen sehen. Ich schob den Gedanken beiseite, aber Angst beschlich mich und blinzelte mir über die Schulter.
    »Gab früher mal Kannibalen«, sagte Gabriel, »aber jetzt nicht mehr, nicht hier in der Gegend. Erst wenn man in die Südsee kommt.«
    »Ach!«, sagte Bill, »ich sag dir was! Wenn da mal welche waren, dann sind sie auch noch da. Die ändern sich doch nicht. Das ist ihre Natur.«
    »Du meinst, so wie Hunde«, sagte John Copper, »jahrelang läuft alles gut und friedlich, und dann auf einmal . . .«, er bleckte die Zähne.
    »Ganz genau«,