Der Atem der Welt
belustigten Augen, verlegen. Dieser fest geschlossene Mund. Natürlich hatte er Angst, aber er würde nicht einknicken. Ich für mein Teil wäre gerannt. Ich wäre zum falschen Zeitpunkt in die falsche Richtung gesprungen. Er hatte sich absolut unter Kontrolle, sehr männlich. Das waren sie alle – die Malaien, geschmeidig
und fast nackt, Dan, nicht elegant, aber ein harter, geballter kleiner Kraftknubbel von einem Mann, der plötzlich anmutig und geschickt wie ein Tänzer mit dem zur Schlinge geknoteten Seil vortrat und damit auf den Kopf des Tieres zielte.
Die Schlinge verfehlte ihr Ziel, er zog das Seil zurück, machte sekundenschnell eine neue Schlinge, warf erneut. Warf immer wieder, immer vergeblich. Der Drache schäumte, zuckte verkrampft, entleerte sich vorne und hinten, tränkte den Boden mit einem plötzlichen Pissestrahl. Er kriegte ihn mit dem fünften Wurf. Wie von Zauberhand fiel das Seil genau in dem Moment über seinen Schädel, als er ihn reckte. Ob es pures Glück oder Genie war, wird mir wohl für immer ein Rätsel bleiben. Dan schwitzte, sein Gesicht war rot. Er trat etwas zurück, warf Tim das Seilende zu, nahm gleichzeitig eine neue Schlinge von seiner Schulter, bereit zu einem weiteren Wurf. Tim zog an seinem Seilende, knüpfte es an einen Baum und bewegte dabei die Lippen, als würde er still beten oder singen, seine Augen glänzten.
Ich glaube, das Ganze dauerte nur wenige Minuten. Wir kamen aus dem Versteck, als Dan uns rief, als das Monster, das immer noch tobte und wütend um sich trat, mit drei starken Seilen an Bäumen vertäut war, um Kopf- und Schwanzende je ein Seil und eins um die Mitte. Etwa zwei Meter siebzig oder drei Meter war es lang, dieses Ding, und es stank zum Himmel. Ich denke manchmal, dass es in meinem Leben reichlich viel Gestank gegeben hat. Das Geschöpf war mit seiner eigenen Scheiße und Pisse und seinem Erbrochenen beschmiert, und der Eberkadaver stank ebenfalls gewaltig. Über dem Gelände lag jetzt ein derart schwerer, ätzender Gestank, dass ich an die Scheiße-Händler in Bermondsey denken musste, in deren Treppenhäusern all die Eimer mit zusammengepresster Hundekacke für die Gerberei standen. Es war die Art Geruch, bei der Wände sich biegen und Pflanzen sich einrollen und sterben.
Sie kappten den mitgeschleiften Pflock. Wir halfen jetzt alle. Mein Herz hämmerte wie verrückt, meine Wangen brannten, und mir war seltsam zumute, als würde ich ein Fieber ausbrüten. Unsere Gesichter verrieten Erregung, Anspannung, Verblüffung, und wir lachten einander staunend an. Dan beruhigte uns. Die Malaien lachten ebenfalls, und uns packte so etwas wie ein gedämpftes Jahrmarktgefühl. Der starke Dag fällte einen jungen Baum, an den wir das Geschöpf banden – ich konnte es nicht Drache nennen, wie ich es da so sah, ein Drache war es nicht, niemals –, und wir wickelten es wie ein verrücktes, schreckliches Baby sehr sorgfältig und fest ein, damit es nicht zu sehr kämpfen und sich selbst verletzen konnte. Jeder war inzwischen mit dem Dreck des Tiers besudelt. Es war ein Riesenreptil, sein furchtbarer Schädel war mit dem eigenen Glibber beschmiert. Es kämpfte immer weiter in einer rasenden, verzweifelten Panik, die es nicht kontrollieren konnte. Es war besessen. Sollte es sich befreien, würde es uns sämtliche Glieder ausreißen.
Tragen konnten wir es nur zu viert. Wir waren zwei Tage unterwegs gewesen, zwischendurch aber gelegentlich auch zurück in Richtung Schiff gelaufen. So brauchten wir nur einen Tag bis zum Schiff, und es ging die ganze Zeit bergab. Das Tier kämpfte ununterbrochen, nur aus Erschöpfung hielt es von Zeit zu Zeit so lange inne, bis es wieder genug Kraft gesammelt hatte, um mit einem Bein zu treten, ein paar Muskeln anzuspannen, mit den Kinnladen zu klappern und, wie ein Fisch auf dem Trockenen, zu flattern, zu zucken, zu glotzen, zu zittern.
Dan kam an meine Seite und erklärte, wir beide würden den Drachen in den Käfig verfrachten. Wir müssten schnell handeln, solange er noch benommen sei, sagte er, und die Seile von Kopf und Schwanz entfernen. Das um seinen Bauch würde erst einmal bleiben.
»Ich denke es mir so, Jaff«, sagte er. »Ich denke, wir schieben ihn mit dem Kopf voran hinein, dann gehe ich rein und nehme
seinen Kopf, während du den Schwanz packst. Glaubst du, du schaffst das?«
»Probieren wir's.«
»Hör zu«, sagte er, »der Schwanz ist nicht weniger gefährlich als der Kopf, wahrscheinlich ist er sogar
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