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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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Schweinekopf an einem Stock darüber. Die Sonne ging allmählich unter, und unsere Feuer waren warm und wunderbar, und anheimelnde Rauchsäulen stiegen über unseren Booten auf. Zwischen unseren Segeln hingen herrliche Häute, mit Fleisch- und Fettresten, rosa und weiß marmoriert.
    Die Ohren waren im Nu gar. Wilson schnitt sie ab.
    »Wer kriegt die?«, fragte er.
    »Schneidet sie halb durch und gebt sie den Jungs«, antwortete der Kapitän. Das waren Skip und John und Tim und ich. Skip weinte, als er sein Viertel bekam. Saß da und kaute mit laufender Nase. Lieber Himmel, Schweineohren sind Nahrung für Götter. Sie sind zäh, man kann sie lutschen und kauen und daran nagen, und sie halten ewig. Als Nächstes kam der Schwanz dran, den kriegte Simon, dann die Füße, und als ich schließlich meine Zähne in einen echten Schinken schlug, war er rosa in der Mitte, und es tat weh beim Essen. Schmerz entlud sich in meinen Wangenkuhlen, schärfer als das beißende Salz in den Wunden, die an meinen Beinen wie Vulkane aufbrachen. Wir aßen alles, inklusive Eingeweide, nur die Häute und ein paar Fleischstreifen nicht, die zum Trocknen aufgehängt wurden. Es war wunderbar. Der Kapitän sagte, wir bekämen heute Abend einfach noch eine Extraration Wasser, um das Schlachten des Schweins und unseren zehnten Tag in den Booten zu feiern.
    »Wir haben uns großartig geschlagen«, sagte er, jetzt wieder mit klangvoller Stimme. »Ganz großartig.«
    Wir haben genügend zu essen, wir haben noch Wasser für
ziemlich lange Zeit, wir sind voller Energie, und wir wissen unsere Rettung in Gottes Hand. Das war sein kleines Dankgebet für uns.
    Wir waren so friedlich wie große Löwen nach der Fütterung. Ich lehnte mich zurück und dachte an die großen Katzen, die durch Jamrachs Hände gegangen waren; wie sie sich satt und schläfrig ihre Lefzen geleckt und träge mit ihren schmalen Augen geblinzelt hatten. Der Mond schien. Der Ozean war wunderschön. Simon spielte auf seiner Fiedel. Wir sangen: The Black Ball Line, Santy Anno, Haul On The Bowline, Lowlands Low . Yan sang etwas aus seinem Land, und Dag sang etwas aus seinem. John sang die obszönste Version von My God How the Money Rolls In , die ich jemals gehört hatte. Und wir sangen gemeinsam Blutrote Rosen , ein Lied, das sich für viele Stimmungen eignet. Für jede Gelegenheit gibt es eine Strophe, die passt. Bei tobendem Unwetter und rasendem Wind hatten wir, so laut wir konnten, gebrüllt –
     
    Unsre Stiefel und Schuhe sind längst verlorn
    Vergeht, ihr blutroten Rosen, vergeht!
    Es zieht ganz verdammt ums wilde Kap Horn
    Vergeht, ihr blutroten Rosen, vergeht!
     
    Und jetzt, in einer Zeit voller Bäuche und zufriedener Wärme, sangen wir:
     
    Einen Brief schrieb mir mein Mütterlein fein
    Vergeht, ihr blutroten Rosen, vergeht!
    Ach, Sohn, du lieber, komm endlich heim –
    Vergeht, ihr blutroten Rosen, vergeht –
     
    – süß und tränenselig, und manche von uns dachten an die Mütter, die sie nie hatten, manche an die, die sie hatten, oder die, die
sie verloren hatten. Mr Rainey schloss die Augen und schien eingedöst, auch wenn seine Lippen sich von Zeit zu Zeit undeutlich bewegten. Gabriel sang ein Lied, das er von einem portugiesischen Walfänger gelernt hatte. Es handelte von einem Jungen, dessen Schatz immer albernere Dinge von ihm verlangte, die ihr seine Liebe beweisen sollten. Ich fühlte mich vollkommen glücklich. Sogar meine Erinnerungen an zu Hause, an Ishbel und Mama und all das machten mich glücklich. Alles, was uns fehlte, war etwas zu rauchen.
    Morgen, vielleicht, ein Segel.
    Doch es gab kein Segel. Nicht am nächsten Morgen und nicht am Tag danach und nicht am übernächsten Tag, und so ging es weiter. Das Wetter war schön. Klar.
    »Einst«, sagte Mr Rainey, »wimmelte es auf diesen Meeren von Walfängern.«
    Der Wind drehte nach Norden. Wir aßen das rosa und weiß marmorierte Fleisch an den Häuten, bis die komisch grün wurden und der Kapitän sagte, jetzt sei es besser, nichts mehr zu riskieren, weshalb wir sie über Bord warfen und wieder bei salzigem Schiffszwieback und warmem Wasser landeten. Der Duft und der Geschmack vom Schwein saß uns noch lange in Nase und Mund, das warme Rutschen des Bluts durch die Speiseröhre, der Fleischsaft. In Abständen kehrte die lustvolle Erinnerung daran zurück. Nach dem Trinken war ich ausgetrockneter denn je. Mein Mund war ein einziger wunder Schrei. Und immerzu ging es weiter gen Osten, nach Südamerika,

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