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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Birch
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Moment, dann: »Und das wäre wann?«
    Von Gabriel, der aus einem viel zu kurzen Stück Holz einen Speer zu schnitzen versuchte, prustendes Gelächter.
    »Halt's Maul, Jaff«, sagte Dan.
    Der Kapitän rief die Boote zusammen. Tat gut, ihre dreckigen Salzvisagen wiederzusehen: das eckige Gesicht des Kapitäns mit den eingefallenen Wangen, die stechenden schwarzen Augen von Wilson Pride, Simon Flower, dessen lange braune Locken ihm wie Schlangen über die Schultern fielen, Dag, weiß beraureift wie ein Geist, John Copper mit geröteten Augen und laufender Nase. Und Skip, der, die Arme um den Oberkörper geschlungen, im Heck hockte und wie ein Pendel hin und her schaukelte. John Copper saß vor ihm. »Ich werde langsam verrückt«, sagte John.
    »John findet das Leben anstrengend«, sagte Kapitän Proctor und lächelte trübsinnig.
    Alle Nachnamen waren inzwischen über Bord gegangen, wir waren jetzt nur noch John und Tim und Simon, bis auf Mr Rainey und natürlich den Kapitän, der immer noch der Kapitän war.
    »Er ist es«, sagte John und wies mit dem Daumen über die Schulter nach hinten zu Skip. »Treibt mich zum Wahnsinn. Knufft mich die ganze Nacht und behauptet, da sitzt eine Eule auf dem Schandeck, und dabei sitzt da verdammt noch mal gar keine.«
    Wir lachten.
    »Was ist los mit dir, Skip?«, fragte Tim.
    Skip schüttelte nur den Kopf.
    »Wann kommt denn nun dieses Schiff, Kapitän?« Gabriel feilte die Spitze seines Speers. »Ich dachte eigentlich, das müsste längst da sein.«
    »Wenn ich das wüsste. Kann morgen sein, kann in den nächsten zehn Minuten sein, kann aber auch erst in einer Woche oder mehr sein.«
    »Kann auch nie sein«, sagte Simon.
    »Stimmt, kann auch nie sein.« Der Kapitän warf ihm einen
raschen Blick zu. »Aber nach meiner Berechnung steuern wir ziemlich genau auf die chilenische Küste zu, so dass wir, falls uns niemand vorher auffischt, in etwa drei Wochen dort landen könnten. Natürlich nur, wenn das Wetter es erlaubt.« Er blickte in die Runde und lächelte uns alle aufmunternd an.
    »Drei Wochen.« Simon ließ den Kopf hängen.
    »Das ist doch gar nichts«, sagte Rainey scharf.
    »Auf dein Leben bezogen«, sagte der Kapitän und unterdrückte ein Gähnen, »sind drei Wochen ein Tropfen im Ozean, Simon.«
    »Mein Kopf«, sagte John. »Wenn ich bloß diese Kopfschmerzen loswürde.«
    »Wo sitzen die?«, fragte ich. »Ich hab auch welche.«
    »Überall.«
    »Meine sitzen hinter den Augen.«
    »Es ist verdammt grauenhaft«, sagte Skip plötzlich mit weinerlicher Stimme, »ich halte es nicht aus.«
    »Was meinst du damit, Skip?«, fragte Dan. »Du hältst es doch aus. Es bleibt dir gar nichts anderes übrig.«
    » Er hält es ja auch aus«, sagte John. » Ich bin es, der verrückt wird.«
    » Mein Kopf auch«, sagte Skip.
    »Und meiner«, sagte Yan.
    »Das ist die Sonne«, sagte Mr Rainey, die Stimme schnipp-schnapp messerscharf.
    »Richtig.« Der Kapitän blinzelte in den leeren blauen Himmel. »Die Sonne geht in anderthalb Stunden unter.«
    »Jetzt sind es zehn Tage«, sagte Dag.
    »Neun.« Ein seltener Beitrag von Wilson.
    »Zehn.«
    »Neun.«
    »Zehn«, sagte Simon und schloss die Augen.
    »Nur, wenn du den Tag, den wir noch beim Schiff geblieben sind, mitzählst.«
    »Es ist der Durst«, sagte Rainey, und seine Stimme überschlug sich wie bei einem Schuljungen, erschreckend bei einem Mann wie ihm. Ich versuchte, den Mund aufzumachen, aber er blieb zu.
    »Wasser«, sagte Tim. »Ist doch wohl die Zeit.«
    Mein Schlückchen Wasser. Silber auf meiner Zunge.
    Der Kapitän blickte hinauf zum Himmel und hinunter zum Bootsboden, wo Pol auf der Seite lag und in der Hitze matt hechelte. »Ich glaube«, sagte er, »es ist Zeit, dass wir ein Schwein schlachten.«
    Unser Schwein war namenlos, eine sture Seele, die überhaupt nicht reagierte, als Pol zu kreischen begann. Nichts veranstaltet ein solches Spektakel wie ein Schwein. Welch exquisiter Terror. Wilson hievte es aus seiner Ecke zu sich herüber. Schon spreizte es seine spitzigen kleinen Beine, die Schweinsfüßchen mit den Teufelshufen strampelten panisch und traten tock, tock, tock um sich. Und diese Schreie, und dann Wilson, der es hinunterdrückte, während Simon und Dag die größte Mühe hatten, ihm, gleichzeitig zupackend und ausweichend, die Vorderbeine zu fesseln. Es ist nicht einfach, in einem kleinen Boot ein Schwein zu schlachten, ohne dass alle Mann über Bord gehen. Aber Wilson war sehr stark, und er hielt das Schwein ganz

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