Der Atem Manitous
gesprochen!« Die Klinge an Liliths Hals bewegte sich.
Aber ehe sie das Urteil wirklich vollstrecken konnte, hörte Lilith Nonas vampirischen Begleiter sagen: »Wenn du das tust, werde ich dich töten! Das solltest du glauben, denn ich mache nie falsche Versprechen!«
Die Hand, die das Messer hielt, verharrte. Ohne sich zu dem Ara-paho umzudrehen, sagte Nona: »Du mußt den Verstand verloren haben! Sie ist die größte Feindin, die dein Volk je hatte!«
»Das bezweifle ich«, sagte Wyando unbeeindruckt. »Woran ich nicht zweifele, ist, daß sie im Angesicht des sicheren Todes die Wahrheit sagt! Senke die Klinge! Sie soll leben!«
In Liliths Kopf drehten sich wieder die Steinchen des Kaleido-skops. Sie war zur Untätigkeit verdammt und konnte nur hoffen, daß sich Wyando durchsetzte - warum auch immer er Partei für sie ergriff.
Unvermittelt löste sich die Klinge von ihrer Kehle. Nona wirbelte herum und stapfte auf den Vampir zu.
»Du bist eine Schande für deine Rasse!« schrie sie mit überschlagender Stimme. »Wie kannst du ernsthaft von mir verlangen, diesen Bastard zu schonen? Sie wird dich töten, sobald du ihre Fesseln löst!«
»Warum sollte sie das?«
»Weil sie Vampire haßt!«
»Vielleicht haßt sie das Böse«, sagte Wyando und brachte Nona damit endgültig aus dem Konzept.
»Aber .«
»Und wenn sie ein Feind des Bösen ist, kann sie mein Feind nicht sein«, fuhr Wyando fort, »denn Makootemanes Stamm hat der dunklen Macht schon vor langer Zeit entsagt .«
Nicht nur ein Augenpaar, sondern zwei starrten ihn jetzt an, als hätte er den Verstand verloren.
Das zweite Paar gehörte Lilith.
»Aber wie ...«, setzte Nona ein zweitesmal an und verstummte wieder hilflos.
Und Wyando erzählte es ihr .
*
VERGANGENHEIT
Nachdem der Hohe Geist und seine Begleiterin dem Dorf den Rücken gekehrt hatten, zog Makootemane das Tuch hervor, das er heimlich mit Kelchblut getränkt hatte. Es schillerte so machtvoll, daß er sich plötzlich wieder klein und unbedeutend wie ein Sandkorn fühlte.
Aber nur für einen einzigen Moment. Dann schweifte sein Blick zu den Kindern, die - wie er - den Tod besiegt hatten.
Dank seines Blutes, das durch ihre Kehlen geronnen war.
In den Augen dieser Kinder las Makootemane denselben Schmerz der Reife, der auch noch in ihm selbst rumorte, aber bald, sehr bald vergessen sein würde.
Wortlos ließ er sie stehen und zog sich in sein Zelt zurück. Vater und Großvater waren tot. Nur seine Mutter lebte noch. Sie kauerte in einem Winkel.
Makootemane beachtete sie nicht. Er hatte nur Augen für den stolzen Vogel, der hier auf ihn gewartet hatte, als könnte er ahnen, welches Geschenk Makootemane ihm machen wollte.
Der Arapaho trat zu ihm und zeigte das nasse Tuch. Der Adler blieb ganz ruhig sitzen, hob den Kopf und öffnete den Schnabel.
Für Makootemane war dies die endgültige Gewißheit, daß seine Vision - die Vision, die ihn im Moment der Mondverdunkelung ereilt hatte, wahrer und mächtiger war als die erste, mit der er auf dem Heiligen Berg konfrontiert worden war.
Es war eine Vision vom Einklang mit der Natur, nicht vom berserkerhaften Unterdrücken der Schwächeren .
Er legte das blutige Tuch in seine Hand zurück, ballte sie zur Faust und hob sie dicht über den Kopf seines Totemtieres.
Dann preßte er es so fest er konnte zusammen.
Nach einer Weile tropfte es zäh und schwer unter seinen Fingern hervor - und in den Schnabel des Vogels, der im nächsten Moment zuckend, aber mit angelegten Flügeln in Makootemanes Arme fiel.
Voller Vertrauen.
Und mit dem Wissen, daß dies nicht das Ende war.
Nicht lange danach fing das Herz unter dem Gefieder wieder an zu schlagen. Und mit seinem Erwachen rührte sich auch etwas in Makootemane; etwas, das die Verbindung zu seinem Totemtier vervollkommnete.
Makootemane konnte spüren, wie der Geist des Tieres in dem seinen aufging. Wie sein Haß, seine Rach- und Geltungssucht, die der Hohe Geist als Ideale in ihn gepflanzt hatte, zurückgedrängt wurden.
Mit dem Adler auf dem Arm verließ Makootemane das Zelt und kehrte zurück zu seinen Kindern. Von dieser Stunde an wich das Tier nicht mehr aus ihrem neuen Leben. Der Adler wurde zum Inbegriff dessen, was Makootemane in die reifenden Angehörigen seines Stammes pflanzte. Nicht die Schrecken, die der Hohe Geist ihnen als Ideal beschrieben hatte, sondern eine Alternative.
Mit der Zeit fanden sie immer tieferen Kontakt zu dem Geist, der ihr lebendes Totem erfüllte.
Die
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