Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
abzusuchen. Es handelte sich um die Kreuzer Ajax , Exeter und Achilles , und als es zum Zusammentreffen mit dem Gegner kam, gingen sie, obwohl sie vom Kaliber ihrer Geschütze und deren Reichweite her gewaltig unterlegen waren, mit der Tollkühnheit und Zähigkeit von Terriern auf die Graf Spee los. Es dauerte nicht lange, bis die Exeter so schwere Treffer davongetragen hatte, dass sie sich aus dem Gefecht zurückziehen musste. Zwar waren auch die Ajax und die Achilles schwer beschädigt, durch einen Glückstreffer aus einem der 8-Inch-Geschütze der Exeter jedoch, der mittschiffs in die Graf Spee eingeschlagen war und die Versorgung der Motoren mit Dieselöl stark beeinträchtigte, war das Schicksal des deutschen Panzerschiffs schon so gut wie besiegelt. Schwer angeschlagen, kroch es langsam in die Sicherheit, die die neutralen uruguayischen Gewässer boten, und ging im Hafen von Montevideo vor Anker. Seinen Offizieren war bekannt, dass ihnen nach den Vereinbarungen der Haager Konvention zweiundsiebzig Stunden blieben, um dort Reparaturen vorzunehmen.
Die verhängnisvolle Lage, in der sich das Schiff allem Anschein nach befand, erweckte großes öffentliches Interesse, vor allem da die Briten auf dem Ozean vor der Mündung des Rio de la Plata weitere Einheiten zusammenzogen – oder das durch clevere Täuschungsmanöver zumindest glauben machten. Es war eine packende Situation. Harold Nicolson, der Diplomat und Diarist, trug in London unter dem Datum des 17. Dezember 1939 Folgendes in sein Tagebuch ein:
»Nach dem Dinner lauschen wir den Nachrichten. Sie sind dramatisch. Die Graf Spee muss sich entweder internieren lassen oder bis 9.30 aus Montevideo auslaufen. So heißt es in den Nachrichten um 9. Gegen 9.10 geben sie eine Eilmeldung des Inhalts durch, dass die Graf Spee den Anker lichtet und an die 250 Mann ihrer Besatzung in Montevideo an Land gesetzt hat. Während ich dies schreibe, läuft sie womöglich ihrer Vernichtung entgegen (denn dort ist es 6.30 und noch hell). Sie schleicht vielleicht durch die Hoheitsgewässer [von Uruguay], bis es dunkel wird, um dann mit Höchstfahrt auszubrechen. Vielleicht greift sie die auf sie wartenden Feinde an. Möglicherweise versenkt sie auch das eine oder andere von unseren Schiffen.«
Die Graf Spee lief unmittelbar vor Ablauf der Frist aus dem Hafen aus – doch sie tat nichts von dem, was Nicolson für möglich gehalten hatte. Sie überquerte, von einem kleinen Schlepper gezogen, gemächlich die Dreimeilengrenze. Dann, vier Meilen von der Küste entfernt und noch immer in Sichtweite der vielen ihr gespannt hinterherschauenden Menschen, zündete ihre Besatzung drei gewaltige Sprengsätze im Rumpf, womit man sie, auch auf die Gefahr hin, sich der Verachtung der deutschen Öffentlichkeit und dem Zorn Hitlers auszusetzen, lichterloh brennend, langsam und qualvoll auf den Grund des Ozeans schickte. Dies alles vor den Augen der verblüfften Menschenmenge und ihrer nicht weniger erstaunten, gleichzeitig aber auch erleichterten Feinde. Kapitän Langsdorff, einer der ehrenhafteren unter den Kommandanten der deutschen Kriegsmarine, wurde noch von dem brennenden Wrack heruntergeschafft und in Buenos Aires interniert, wo er sich jedoch zwei Tage später mit einem Schuss in den Kopf tötete.
Viele Jahre lang ragte der Mast des Wracks bei Ebbe noch aus dem schlammigen Wasser der Rio-de-la-Plata-Mündung. Eines der Fünfzehn-Zentimeter-Geschütze ist gehoben worden und heute in einem Museum Montevideos ausgestellt; ein Anker und ein Entfernungsmessgerät sind am Ufer aufgestellt, und der große Bronzeadler, der einst am Heck der Graf Spee prangte, wurde 2006 geborgen; das Hakenkreuz zwischen seinen Fängen wurde mit Leinwand verhüllt, um die Gefahr, Anstoß zu erregen, zu verringern. Auf zwei Friedhöfen ruhen die Seeleute, die in der Schlacht ihr Leben verloren. Das ausgebrannte und zerfetzte Wrack selbst liegt aber nach wie vor unberührt auf dem Meeresgrund. Auf Seekarten des Südatlantiks ist die Stelle lediglich durch den Hinweis »a hazard to shipping« (Gefahr für die Schifffahrt) markiert – doch stellt sie heute eine weniger tödliche Gefahr für andere Schiffe dar, als sie es gegen Ende des ersten Kriegsjahrs getan hatte.
Brennend und mit starker Schlagseite treibt das deutsche »Westentaschenschlachtschiff« Admiral Graf Spee vor der Einfahrt zum Hafen von Montevideo. Die Mannschaft hatte die Ventile geöffnet und Sprengladungen im Rumpf angebracht, um das Schiff zu
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