Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Schiffen auf diesem Ozean. Es war auch die erste, bei der Geschütze zum Einsatz kamen, die Explosivgeschosse abfeuerten, und nicht jene lediglich Segel zerfetzenden und Rahen zertrümmernden Eisenkugeln ausspeienden schwarzen Vorderladerkanonen, die die Marinen aller Länder jahrundertelang benutzt hatten. Die Kommandanten hölzerner Schiffe waren in der Vergangenheit zu einer Art stillschweigender Vereinbarung gekommen, weder irgendwelche Zünder noch Explosivgeschosse zu verwenden, weil dann nicht nur das Schiff des Gegners, sondern auch das eigene in Flammen aufgehen konnte. Doch nach der Einführung von Schiffen wie der Merrimack , die aus dem nicht brennbaren Material Metall bestanden, konnte man nach Belieben alle möglichen Explosivstoffe einsetzen, auf Deck mit ihnen hantieren, gewaltige Artilleriegeschütze mit gedrehten Läufen benutzen, um Granaten fünf oder mehr Kilometer weit über das Wasser in den Gegner zu jagen und ihn zu vernichten.
Visionäre in den Reihen der Marineangehörigen erkannten bald, dass Stahlschiffe als schwimmende Plattformen für die gleichen Artilleriegeschütze dienen konnten, die an Land schon seit vielen Jahren zum Einsatz kamen. Im Handumdrehen konnte man die Kriegsflotten der Welt auf den gleichen technologisch fortschrittlichen Stand bringen wie die Landarmeen – mit einem Unterschied jedoch: Die Schiffe mussten die hochbrisante Munition in Magazinen mit sich führen, in denen sie vor feindlichem Artilleriebeschuss geschützt waren, denn eine einzige in ein solches Magazin einschlagende Granate konnte das ganze Schiff binnen Sekunden in Stücke reißen. Eine widerstandsfähige Panzerung war vonnöten, und man musste leistungsstarke Dampfturbinen entwickeln, damit diese Metallkolosse sich mit angemessener Geschwindigkeit übers Meer bewegen konnten.
Was England betraf, wurden alle diese Modernisierungen vom damaligen Ersten Seelord, dem bemerkenswert hässlichen, autokratischen und äußerst beliebten Leuteschinder Admiral »Jacky« Fisher in die Wege geleitet – einem Mann, der seine Karriere in einer aus eleganten Segelschiffen mit hölzernen Bordwänden bestehenden Marine begann und am Ende seiner Laufbahn die größte und modernste Flotte von dampfgetriebenen eisernen Schiffen hinterließ, die es jemals gegeben hat. Bei Ausbruch des Großen Kriegs, wie man den Ersten Weltkrieg zunächst nannte, verfügte Fisher über eine Armada, die auf sein Drängen hin geschaffen worden war, und sie verlieh Großbritannien für das nächste halbe Jahrhundert die nahezu uneingeschränkte Herrschaft nicht nur über den Atlantik, sondern über alle Weltmeere.
Riesige Stützpunkte mit Kaianlagen, Piers und Kränen, mit Trockendocks, Kohle- und Treibstoffbunkern, Munitionsmagazinen und Vorratslagern wurden überall an den Küsten der Britischen Inseln angelegt und auch an den Rändern der anderen Weltmeere. Der Indische Ozean wurde nominell von Trincomalee und der Pazifik von Hongkong und Sydney aus überwacht, doch der Atlantik galt als der wichtigste Ozean und wurde entsprechend von Einheiten aus großen Kampf- und kleineren Geleitschiffen kontrolliert, deren Stützpunkte sich im Westen auf Bermuda, Jamaika und Trinidad, im Süden auf den Falklandinseln und im Osten bei Freetown, Simonstown und Gibraltar befanden. Die Britischen Inseln selbst waren von einem gewaltigen Schutzvorhang umgeben, bestehend aus Zerstörern, die die westlichen Zufahrtsrouten überwachten, und Schlachtschiffen, die in der Nordsee und den tiefen Gewässern vor Irland patrouillierten. Riesige Kanonen waren auf die Engstellen im Ärmelkanal gerichtet. Auf expliziten Befehl Admiral Fishers hin wurde die Grand Fleet nach Norden verlegt, in die Nähe der Stellen, an denen die ständig wachsende deutsche Hochseeflotte eines Tages versuchen könnte, aus der Ost- und der Nordsee, wo sich ihre Stützpunkte befanden, auszubrechen. Die britischen Schiffe wurden in einer Bucht, Scapa Flow, in der Mitte der Orkneys stationiert, wo sie durch die mit kurzem Gras bewachsenen Sandsteininseln vor den atlantischen Stürmen und den subarktischen Blizzards geschützt waren und das Wasser seicht genug war, um einen sicheren Ankerplatz zu bieten. Außerdem war die Wasserfläche groß genug, um diese gewaltige Ansammlung von militärischer Hardware aufzunehmen – nahezu vierzig moderne Großkampfschiffe, die zusammen mit Flottillen von Zerstörern und Fregatten die größte und stärkste Streitmacht der damaligen Welt
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