Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
heraus, dass die Viarsa im Besitz eines Syndikats von Galiziern war. Die Eigner stammten also aus dem Norden Spaniens, aus dem auch die Menschen gekommen waren, die fünf Jahrhunderte zuvor die Pioniere des Fischfangs in den tiefen Gewässern des Atlantiks gewesen waren. Es hieß, dass es noch zwanzig weitere Schiffe wie die Viarsa gebe, die alle demselben Konsortium gehörten, aber in unterschiedlichen Ländern wie Belize und Ghana, Argentinien und Panama registriert seien. Sie waren alle in derselben Mission unterwegs: die Meere auszuplündern, so viele Fische wie möglich zu fangen, gleichgültig, welches Risiko sie dabei eingingen. Sie konnten sich großer finanzieller Gewinne so gut wie sicher sein. Die Ironie liegt darin, dass dieselbe Notwendigkeit, welche Nordspanier im 16. Jahrhundert zu der nebelverhangenen, trostlosen und keiner Gesetzgebung unterstehenden Wasserwüste der Grand Banks aufbrechen ließ, auch deren Nachfahren im 21. Jahrhundert in die eiskalten Gewässer der Subantarktis führte, wo der Fischfang heute jedoch von strengen Gesetzen geregelt wird, so dass ihr Treiben illegal war. Beide Male verbarg sich die anscheinend nicht zu stillende Gier nach möglichst großen Mengen Fisch hinter den Unternehmungen der Galizier, die – sie sind heute nach den Japanern die zweitgrößten Fischkonsumenten der Welt – offenbar glauben, dass die Meere einen nahezu unerschöpflichen Vorrat davon enthalten.
6. Ein nicht geachtetes und geschundenes Meer
I m 16. Jahrhundert mag es noch berechtigt gewesen sein, eine solche Unerschöpflichkeit anzunehmen. Heute ist es das mit Sicherheit nicht mehr. Während in den Tagen von Kolumbus und Cabot, Vespucci und Francis Drake das Meer noch von Fischen überquoll, ist ihre Zahl heute aufgrund planmäßiger Ausplünderung, hinter der sich beinahe so etwas wie eine heimtückische Verschwörung zu verbergen scheint, dramatisch gesunken. Da die irrige Vorstellung von ihrer nicht abnehmenden Fülle allen gegenteiligen Beweisen zum Trotz immer noch so weit verbreitet und der weltweite gewaltige Appetit auf Fisch auch nicht geringer geworden ist, wundert es nicht, dass jetzt Alarm geschlagen wird.
Einige denken, dass alle Fische in jedem Meer der Welt heute gefährdet sind. Viele, die aus Gründen des Umweltschutzes den Verzehr von Fleisch anprangern, meinen, dass man endlich auch auf den Konsum von Fisch verzichten solle, weil Seefische heutzutage genauso in Gefahr seien, ausgerottet zu werden, wie im 19. Jahrhundert die Bisons auf den Prärien Nordamerikas. Nicht wenige sagen voraus, dass es mit der kommerziellen Fischerei weltweit noch vor der Jahrhundertmitte so gut wie vorbei sein wird.
Ohne Zweifel verändern sich die Ozeane unter dem schädlichen Einfluss von Landbewohnern, die allzu sorglos mit ihnen umgehen. Wir alle haben irgendwelche Berichte darüber gelesen. In den 1960er Jahren beispielsweise pflegte ich ein sea loch , also eine Art Meeresarm, an der Nordwestküste Schottlands zu besuchen. Gelegentlich fuhr ich in einem Boot so weit auf See hinaus, wie mein Mut es zuließ. Wenn es zu böig wurde, suchte ich manchmal Schutz auf der dem Wind abgewandten Seite eines grünen Inselchens namens Gruinard. Die Einheimischen hatten mich davor gewarnt, ihr zu nahe zu kommen. Eines Tages tat ich es aber ungewollt und entdeckte Schilder am Strand, die davon abrieten, an Land zu gehen, da die ganze Insel und die sie umgebenden Gewässer ein halbes Jahrhundert zuvor, während des Krieges, absichtlich mit Milzbranderregern infiziert worden waren. Es war ein militärisches Experiment gewesen, das sich für viel längere Zeit als erwartet ausgewirkt hatte. Man war überzeugt gewesen, das Meer sei groß genug, um alle toxischen Stoffe fortzuspülen: Niemand hatte sich vorgestellt, dass das Gegenteil der Fall sein und das Meerwasser selbst für lange Zeit verseucht bleiben würde.
Ebenfalls zu jener Zeit verbrachten wir vergnügliche Stunden mit Spaziergängen an einem anderen, von dem ersten weit entfernten Meeresarm. Wir hielten häufig an, um durch das klare Wasser der Gezeitentümpel auf die bunt gefärbten Gärten an deren Grund, auf die wedelnden Arme von purpurnen Seeanemonen zu starren, die hektisch umherhuschenden scharlachroten Krabben und winzigen, seit der letzten Flut hier gefangenen Fischen kurzfristig Schutz vor dem Sonnenlicht boten. Doch das alles hat sich geändert. Seitdem sind Legionen von unachtsamen Besuchern an diesen Ort gekommen, und mit dessen
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