Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Abgeschiedenheit ist es vorbei. Das ehemals klare Wasser in den Tümpeln ist jetzt mit Schaumflocken bedeckt, und ich glaube nicht, dass ich mir nur einbilde, dass man heutzutage weniger Lebewesen entdeckt und keines von ihnen so leuchtend gefärbt ist, wie ich es aus meinen Kindertagen in Erinnerung habe.
Und weiter im Süden, aber immer noch in einer Region Schottlands gelegen, die von Stürmen gepeitscht und von der See bedrängt wird, gibt es ein weiteres Anzeichen für Zerstörung durch Unachtsamkeit. Wo wir einst in schöner Einsamkeit auf dem machair 58 zu liegen, den Seeottern sowie sich im flachen Wasser dicht vor der Küste sonnenden Haien zuzuschauen und über die graue Leere des gewaltigen Ozeans zu staunen pflegten, zieht sich jetzt eine Reihe schwimmender Plattformen entlang, die aus Holz bestehen und von blauen Plastiktonnen über Wasser gehalten werden: Es sind Fischfarmen mit pausenlos sirrenden Pumpen und endlos blinkenden Lichtern, zwischen denen das Meer mit Motoröl verunreinigende Schnellboote hin und her fahren, um den Tausenden in den Käfigen gefangenen Tieren Futter zu bringen. Das Wasser in diesen Gefängnissen ist ständig aufgewühlt, da die Fische hektisch miteinander um Lebensraum kämpfen – aber ganz anders, als sie es Berichten zufolge fünf Jahrhunderte zuvor im Nordatlantik taten: Dort war ihre Konkurrenz eine Folge ihrer Freiheit und Fruchtbarkeit, die Fische in den Zuchtanstalten hingegen machen sich gegenseitig den Raum streitig, weil sie in großer Zahl hinter Drahtzäunen eingesperrt sind und dort mit zerschlissenen Flossen, schlaffen Muskeln und von Infektionen heimgesucht gehalten werden, bis sie groß genug sind, um per Lastwagen zu den Märkten in Europas Großstädten transportiert zu werden.
Überall im und am Meer stößt man auf Niedergang und Verfall. An dem Wintertag, an dem ich dies schreibe, ist eine weitere traurige Meldung über die Erschöpfung der Ressourcen in den Ozeanen eingegangen: Es gibt Hinweise darauf, dass der steigende Säuregehalt des Wassers tropischer Meere, der, wie man vermutet, darauf zurückgeht, dass ein Übermaß an vom Menschen produziertem Kohlendioxid in sie gelangt, bestimmte Fischarten ihres Geruchsinns beraubt, wodurch sie nicht mehr in der Lage sind, sich ihnen nähernde Fressfeinde zu wittern.
Wir verschmutzen das Meer, wir plündern das Meer, wir missachten das Meer, wir entehren das Meer. Wir vergessen oder ignorieren permanent, dass das Meer die Quelle allen Lebens auf der Welt ist, dass unser aller Ursprung in ihm liegt. Der Atlantik, der erste Ozean, der entdeckt, überquert und erforscht wurde, ist so stark verunreinigt und ausgeplündert wie kein anderes Meer. Ein Vergleich der vom Menschen herbeigeführten Ausrottung des Kabeljaus im Nordatlantik mit der derzeitigen vernünftig betriebenen Überwachung der Seehechtfischerei im Südatlantik lässt die Vermutung oder Hoffnung aufkeimen, dass die Menschheit endlich auf dem Wege sein könnte, Vernunft anzunehmen. Doch ist ein solcher Vergleich nur eingeschränkt möglich. Die bedauerlichen Entscheidungen der kanadischen Regierung in den 1980er Jahren wurden in einer Demokratie getroffen, und zwar von Politikern, die sich verpflichtet fühlten, die Forderungen und Bedürfnisse der Fischer auf Neufundland – die ja auch Wähler waren – kurzfristig zu erfüllen. In den Gewässern um South Georgia gibt es keine Wähler, nicht einen einzigen. Dort wohnt niemand permanent. Die Kolonialbehörden haben dort freie Hand bei der Regulierung der Fischereiwirtschaft; sie können so handeln, wie sie es für richtig halten, brauchen auf keine Gruppierung oder Interessensgemeinschaft Rücksicht zu nehmen – außer auf die Fische selbst sozusagen.
Aber trotzdem zeichnet sich allmählich eine wachsende Entschlossenheit des Menschen ab, anders mit den Meeren umzugehen – und es ist wahrscheinlich, dass wieder einmal der Atlantik das Testgelände für die Ausarbeitung, die »Feinabstimmung« von entsprechenden Maßnahmen abgeben wird. Der Atlantik würde dem Menschen aber auch die Folgen seines eventuellen Versagens in aller Deutlichkeit vor Augen führen.
Und wie, so muss man sich fragen, könnten diese Folgen aussehen? Wären die Meere in der Lage, sich auf irgendeine nicht vorstellbare Weise dem Missbrauch, den wir mit ihnen treiben, zu widersetzen, auf irgendeine Art zurückzuschlagen, sich zu »rächen«? Was für einen Preis würde die Menschheit zahlen müssen, wenn der Atlantik
Weitere Kostenlose Bücher