Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
ein Teil Indiens – sich irgendwie in den Weg geschoben hatte und den direkten Weg zu diesen Inseln blockierte.
Kolumbus gab sich daher nicht mit dieser einen Fahrt zufrieden – er brach zu drei weiteren auf, jedes Mal mit dem Ziel, neues Land für Spanien zu erobern; dabei kam es zu langen Perioden der Annektierung von süd- und mittelamerikanischen Territorien sowie der Niederwerfung der Einheimischen und einer Herrschaft über sie, die von Grausamkeit, Tyrannei, Gier, Rachsucht und Rassismus geprägt war. Kolumbus war für die Sklaverei. Er ließ sich im Umgang mit den Eingeborenen viele Grausamkeiten zuschulden kommen, und er bestrafte seine eigenen Gefolgsleute hart für Verstöße, indem er ihnen die Zunge herausschneiden, die Nasen oder Ohren absäbeln ließ und die Frauen unter ihnen den allerschändlichsten öffentlichen Demütigungen aussetzte. Auf seiner zweiten Reise beförderte er eine Ladung Schweine nach Amerika, die er dort freiließ. Sie vermehrten sich und versorgten nachfolgende Seefahrer und Entdecker mit Fleisch, schleppten aber möglicherweise auch einige der Krankheiten ein, die zur Dezimierung der einheimischen Bevölkerung beitrugen. Seine dritte Reise, im Jahr 1498, führte ihn bis aufs amerikanische Festland, nach Venezuela, wo er den Orinoko entdeckte, von dem er glaubte, dass er einer der in der biblischen Schöpfungsgeschichte erwähnten Ströme sei. Auf seiner vierten Reise, 1502 – er hielt immer noch hartnäckig an dem Glauben fest, dass es sich bei allen seinen früheren Entdeckungen um bis dahin unbekannte Teile Ostindiens handle und er auf dieser Fahrt sehr gut auf die Straße von Malakka stoßen könne –, gelangte er nach Honduras. Dort hörte er von einem Isthmus raunen und davon, dass man nur eine kurze Strecke über Land zurückzulegen brauche, um zu einem mysteriösen anderen Ozean zu gelangen.
Doch der Groschen – beziehungsweise der Maravedi – wollte nicht fallen: Nie kam ihm der Gedanke, dass Amerika ein eigener Kontinent war und das Gewässer, das seine Heimat von den Territorien, die er eroberte, trennte, ein Ozean, der nichts mit jenem Meer im Osten zu tun hatte. Das Meer, das er überquert hatte, hieß Atlantik, das stimmte, doch in Kolumbus Vorstellung war dieser ein Ozean, der auf irgendeine verborgene Weise mit dem Pazifik verbunden war, nahtlos, als ob beide Meere lange Zeit ein einziges gewesen wären.
Christoph Kolumbus war zwar ein mutiger und höchst fähiger Seemann, aber er war nicht der Erste, der den Ozean bezwang. Während seine Reisen Europa auf die Existenz eines ganz neuen Universums auf der anderen Seite des Atlantiks aufmerksam machten, gelang es ihm selbst nie, Nordamerika zu erreichen. Und bei der Verfolgung seiner Ziele und der Erfüllung seiner Pflichten führte er sich nicht selten als Tyrann und Menschenschinder auf. Er war ein Sklavenhalter, ein eingefleischter Imperialist und ein von Habgier zerfressener Mann, der vor allem sein eigenes Fortkommen im Auge hatte.
Und trotzdem haben die Amerikaner den Namen Kolumbus – in Columbus umgewandelt – als den eines Mannes übernommen, der von zentraler Bedeutung für ihre Geschichte und ihre Identität ist. Voller Stolz haben sie alles Mögliche nach ihm »Columbia« genannt. Es gibt den Distrikt Columbia, den Columbia River, Columbia in South Carolina, die Columbia University, die Stadt Columbia in Ohio – und den Columbus Day. Was die USA betrifft, hat die Reputation des Genuesen keinen Kratzer abbekommen; er bleibt den angestrengtesten Bemühungen aufgeklärter, informierter Menschen zum Trotz immer noch der »Entdecker«. Alle betroffen machenden Einzelheiten seiner Biographie scheinen, wenn sie überhaupt bekannt sind, kaum jemanden zu stören.
Am 12. Oktober 1492 landete Kolumbus auf einer Insel, der er den Namen »San Salvador« gab. Er war sich dessen nicht bewusst, einen in Europa unbekannten Kontinent erreicht zu haben. Die auf diesem Kupferstich von 1594 dargestellten Ureinwohner hielt er für Angehörige eines asiatischen Volks.
Auch dem Kalender hat er sein Zeichen aufgedrückt: Es scheint unauslöschlich zu sein. Seit 1792, als die New Yorker den dreihundertsten Jahrestag seiner Landung begingen, seit 1869, als die italienischstämmigen Einwohner der neu gegründeten Stadt San Francisco eine ähnliche Feier abhielten, seit 1892, als Präsident Benjamin Harrison alle US-Amerikaner anhielt, den vierhundertsten Jahrestag der »Entdeckung« zu feiern, seit Franklin D.
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