Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Einbuchtung gekennzeichnet; die von Cabot gesichteten Gebiete waren im Norden verzeichnet, die von Kolumbus und seinen Gefährten entdeckten im Süden (wie auch das gesamte Territorium, das Spanien aufgrund des Vertrages von Tordesillas 16 für sich beanspruchen zu können glaubte). Doch hatte de la Cosa weder die Festlandgebiete noch die Gewässer mit Namen versehen.
Das sollte jedoch sieben Jahre später geschehen, 1507. Der deutsche Kartograf Martin Waldseemüller taufte die Landmassen im Westen, die, wie sich jetzt immer klarer abzeichnete, einen Erdteil für sich bildeten, America . Waldseemüller und sein Kollege Matthias Ringmann, der offenbar eine dichterische Ader besaß, prägten und wählten diesen Namen aufgrund eines Büchleins, das ihnen kurz zuvor in die Hände gefallen war – eines Werks, das sich großer Beliebtheit erfreute, und zwar vielen in ihm enthaltenen Irrtümern, Lügen und Fälschungen zum Trotz, die Gelehrte jahrhundertelang gefesselt und eine ganze Schar von Schriftstellern beschäftigt haben. Dieses schmale Buch, eigentlich eher eine Flugschrift, trug den Titel Mundus Novus und rührte – wie auch ein später entstandenes kurzes, als Soderini-Brief bekanntes Dokument – angeblich von der Hand Amerigo Vespuccis her, dem schillernden italienischen Entdecker und Hexenmeister (und im späteren Leben, wie schon erwähnt, auch Zuhälter), der allem Anschein nach aufgrund seiner eigenen vor Ort gesammelten Erfahrungen als Erster geltend machte, dass die großen Landmassen im Westen in der Tat einen eigenen Kontinent bildeten, den vierten Erdteil.
Der Reisebericht Mundus Novus präsentiert sich als ein weitschweifiges, von der Sprache her flamboyantes und, was Einzelheiten betrifft, ganz und gar unzuverlässiges Werk. Er ist zweiunddreißig Seiten stark, auf Latein verfasst und veröffentlicht; ursprünglich war der Bericht an einen Mäzen Vespuccis aus der Familie Medici gerichtet; er wurde aber 1503 auch in mehreren europäischen Städten gleichzeitig verbreitet. Drucker in Paris, Venedig und Antwerpen sorgten dafür, dass Vespuccis anschauliche, um nicht zu sagen drastische Schilderung seiner Segelabenteuer an den Küsten des heutigen Guyana, Brasiliens und vielleicht sogar Patagoniens eine hohe Auflage erreichte.
Das Buch war tatsächlich ungeheuer populär – wozu ohne Zweifel beitrug, dass Vespucci sich liebevoll der kosmetischen Selbstverstümmelung, der analen Reinlichkeit und den sexuellen Praktiken der Völker widmete, denen er auf seinen Reisen begegnet war. Dieses Buch machte nicht nur ihn persönlich unsterblich, sondern ließ auch das Interesse der Europäer für die Neue Welt geradezu explosionsartig aufflammen, regte so zu zahlreichen Entdeckungsfahrten an und löste eine Einwanderungswelle aus, die im Grunde bis heute anhält.
Der entscheidende Satz in Vespuccis Bericht lautet ganz einfach: »Auf dieser meiner letzten Reise […] habe ich einen Kontinent in jenen südlichen Regionen entdeckt, welcher von mehr Menschen bewohnt ist als unser Europa, Asien oder Afrika, und dazu habe ich ein angenehmeres und gemäßigteres Klima gefunden als in jedem anderen uns bekannten Gebiet.« Er hatte einen neuen Kontinent entdeckt – oder genauer: Er hatte das von ihm entdeckte Land als Kontinent identifiziert, etwas, das Kolumbus einige Jahre zuvor einfach nicht hatte tun wollen. Der Genuese hatte es fälschlicherweise für einen schon bekannten Erdteil gehalten, für Asien, Vespucci erkannte jedoch, dass es ein eigener Kontinent war, doch ganz zu Anfang hatte dieser noch keinen Namen.
Es blieb den Kartografen aus Freiburg überlassen, ihm einen zu geben. Damals arbeiteten die beiden in einer akademischen Gemeinde in den Vogesen zusammen – und dort tauften sie das riesige neu entdeckte Territorium und verliehen ihm eine Identität, die es danach für alle Zeiten haben würde. Sowohl Waldseemüller als auch Ringmann hatten Mundus Novus gelesen und schenkten auch dem Glauben, was in dem ziemlich offenkundig gefälschten Soderini-Brief stand. Beide kamen überein, bei der Anfertigung der großen neuen Weltkarte, mit der sie beauftragt worden waren, zumindest dem leicht kurvig verlaufenden südlichen Teil des neuen Kontinents einen Namen zu geben. Sie wählten die Femininform der latinisierten Fassung von Vespuccis Vornamen. Zu den anderen Erdteilen, deren Bezeichnungen der grammatischen Form nach ebenfalls weiblich waren, »Africa«, »Asia« und »Europa«, würde jetzt der Name
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