Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
einen Mann und eine Frau auf einem vom Sturm angetriebenen Holze von bewundernswerter Form.«
Doch hätten zwei Menschen in einem Einbaum – das ist die Art Boot, die die meisten Kariben zu der Zeit, als die ersten Europäer sie zu Gesicht bekamen, benutzt zu haben scheinen – wirklich eine Fahrt über den Ozean in seiner ganzen Ausdehnung, von Amerika bis nach Irland, überleben können? Der Golfstrom könnte sie vorwärtsgetragen haben – er führt Treibgut jeder erdenklichen Art mit sich. Doch wären sie dann mit einer Geschwindigkeit von lediglich drei Knoten unterwegs gewesen, was bedeutet hätte, dass sie insgesamt fünfzig Tage auf See gewesen wären, bis sie die irische Küste erreichten – und das ohne Proviant und Trinkwasser. Es scheint demzufolge höchst unwahrscheinlich, dass sie durch Zufall bis nach Galway gelangten, dorthin abgetrieben wurden. Wenn sie aber die Fahrt geplant und vorbereitet hatten – und nur unter dieser Voraussetzung könnten sie wohl eine solche Strecke bewältigt haben –, dann, so vermutet man, hätte es wohl andere gegeben, die ebenfalls eine solche Reise angetreten hätten, und es wären Artefakte gefunden worden, die belegten, dass Überfahrten dieser Art stattfanden.
Doch tatsächlich ist kein einziges solches Artefakt jemals aufgetaucht. Die Verfechter der Theorie, dass amerikanische Eingeborene über See bis nach Europa gelangten, bringen ihre Überzeugungen ebenso stimmgewaltig wie leidenschaftlich vor, doch bislang sind ihre Argumente reichlich schwach. Alles deutet darauf hin, dass es Nord- wie Südeuropäer waren, die als Erste den Atlantik bezwangen.
9. Erkenntnisse
B innen weniger Monate nach dem Tod von Christoph Kolumbus im Jahr 1506 zählten drei Männer – ein Toskaner aus Chianti, der zu verschiedenen Zeiten seines Lebens Seemann und Entdecker, Zuhälter und Hexenmeister war, sowie zwei biedere Deutsche, Kartografen aus Freiburg – zwei und zwei zusammen und hoben ganz formell sowohl einen Kontinent aus der Taufe, der fortan den Namen Amerika trug, als auch einen in sich geschlossenen, eigenständigen Ozean, der von da an Atlantik genannt werden würde.
Kolumbus hatte nur vage Anzeichen für die Existenz einer Landmasse von der Größe eines Erdteils gefunden. Er hatte Hunderte von tropischen Inseln entdeckt, kartografisch erfasst und kolonisiert wie auch einen Küstenstrich unterhalb des Äquators erforscht, der von Flüssen durchzogen wurde, die groß genug waren, um erahnen zu lassen, dass sich durch sie ein noch größeres Gewässer ins Meer ergoss. Doch bei allen seinen Reisen war er auf keinen wirklichen Beweis dafür gestoßen, dass vor ihm festes Land von einer solchen Ausdehnung lag, dass es die Weiterfahrt nach Westen über alle überhaupt dafür infrage kommenden Breitengrade hinweg blockierte.
Um die Jahrhundertwende herum begannen jedoch Berichte von anderen Entdeckern nach Europa zu sickern, die auf die mögliche Existenz einer solchen Landmasse zu verweisen schienen. John Cabot zum Beispiel war 1497 in Neufundland gelandet und hatte seinen Geldgebern in Bristol das Vorhandensein einer gewaltigen Landmasse gemeldet. Dann kamen zwei Brüder aus Portugal, Miguel und Gaspar Corte-Real, ebenfalls hoch im Norden an verschiedenen Punkten mit der Küste in Berührung und äußerten bei ihrer Rückkehr nach Lissabon im Jahr 1501 die Ansicht – sie waren die Ersten, die dies taten –, dass das Territorium, auf das sie gerade gestoßen waren, mit den bereits früher entdeckten weiter im Süden – den Gebieten, die wir heute als Honduras und Venezuela kennen – zusammenhängen könne.
Eine recht plump ausgeführte kleine Karte hatte ebenfalls dazu beigetragen, den bei den gebildeten Ständen in Europa zunehmenden Verdacht, dass es dort im Westen einen eigenen Kontinent geben könne, zu erhärten. Diese Karte war 1500 an der kolumbianischen Atlantikküste in der Nähe von Cartagena von Juan de la Cosa gezeichnet worden, einem Seefahrer aus Kantabrien, der Kolumbus als Kapitän auf zwei seiner Reisen begleitet hatte und danach noch fünf weitere Fahrten in die Neue Welt unternahm – wo er 1509 von Eingeborenen mit Giftpfeilen umgebracht wurde. Seine Karte jedoch, die heute im Madrider Marinemuseum liegt, lebt weiter; es handelt sich um die erste, auf der die Neue Welt dargestellt war – eine sich von einem Rand des Blattes bis zum anderen erstreckende Bordüre von festem Land weit westlich von Europa. Dieses Territorium war von einer riesigen
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