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Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Der Atlantik - Biographie eines Ozeans

Titel: Der Atlantik - Biographie eines Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Lebens geben, einen Urschleim. Ein Quantum davon wurde von der Forschungsfregatte HMS Cyclops an die Oberfläche geschöpft und einem anfangs nicht sonderlich interessierten T. H. Huxley zur Untersuchung übergeben – dem Paläontologen, dem wir die Begriffe »agnostisch« und »Darwinismus« zu verdanken haben, was schon auf die ausgeprägt rationalistische Einstellung dieses Wissenschaftlers hinweist. Doch sein Rationalismus ließ ihn im Stich, als er zehn Jahre nachdem man ihm die Proben ausgehändigt hatte, durch das Okular seines Mikroskops die gallertähnliche Substanz in Augenschein nahm. Er geriet in eine absolut irrationale Erregung, verlieh ihr sofort einen Namen – Bathybius haeckelii , zu Ehren des deutschen Evolutionsforschers, der das Wort »Ökologie« geprägt hat – und erklärte die Masse zu einer Form von Urleben, die sicher den Meeresgrund überall wie ein Teppich bedecken würde.
    Man war allgemein peinlich berührt, als ein anderer Biologe sechs Jahre später mithilfe von ein paar sehr einfachen chemischen Untersuchungen ermittelte, dass es sich bei Bathybius überhaupt nicht um eine Form von Leben handle, sondern im Reagenzglas eine simple chemische Reaktion zwischen Seewasser und dem zum Konservieren der Substanz benutzten Alkohol stattgefunden habe. Vielleicht, blökten ein paar Anhänger Huxleys, könne diese Reaktion auch von einer Verunreinigung durch eine saisonal bedingte Planktonblüte ausgelöst worden sein. Doch die meisten blickten den Tatsachen ins Auge, und so wurde nach sehr kurzer Zeit das Bathybius , das niemals gelebt hatte, offiziell zu Grabe getragen. Mit beißender Selbstironie und voller Würde taufte Huxley es in Blunderibus 24 um, gab zu, dass er ein Tor gewesen sei, und gewann so seinen Ruf umgehend zurück. Er ging sofort daran, weitere Geschöpfe zu benennen, worin er besonders gut war. So taufte er eine Art Krokodil aus dem Mesozoikum auf den wohlklingenden Namen Hyperodapedon und wandte sich dann einer Familie von fischähnlichen Tieren aus dem Devon zu, die er Crossopterygii nannte.
    Die Lösung des Bathybius- Rätsels bedeutete, dass die Mission der HMS Challenger , als sie kurz vor Weihnachten 1872 in Portsmouth die Anker lichtete, weniger darin bestand, das Unentdeckbare zu entdecken und jahrhundertealte irrige Ansichten aus der Welt zu schaffen, sondern dass sie zu einer Art wissenschaftlicher Vergnügungsfahrt losdampfte, wie man sie vorher nicht gekannt hatte und wie es sie später nur selten wieder gegeben hat.
    6. Maß nehmen
    D ie HMS Challenger war eigentlich ein Kriegsschiff, eine große Dampfkorvette von 2600 Tonnen mit drei Masten und einem hohen Schornstein für die Abgase, die ihre 1200 PS starke Maschine produzierte. Um Platz für Laboratorien und die ganze wissenschaftliche Ausrüstung zu schaffen, entfernte man alle Geschütze bis auf zwei. Ihr Kommandant, zumindest auf der langen Atlantiketappe der Expedition, die um den ganzen Globus führen sollte, war George Nares, ein unerschütterlich-korrekter Seemann, 25 der für seine Forschungsfahrten in die Arktis berühmt werden sollte. Der wissenschaftliche Leiter war C. Wyville Thomson, ein Professor für Zoologie an der Universität Edinburgh, ein Mann, der seit zwei früheren Erkundungsfahrten von der Frage gefesselt war, ob in den gewaltigen Tiefen des Ozeans Leben möglich sei. Er beschäftigte sich sogar schon in der frühen Phase der Fahrt, als alle sich noch eingewöhnen und »Seebeine« bekommen mussten, unermüdlich damit, mit verschiedenen Geräten dem Meeresboden Proben zu entnehmen und Tiefenmessungen anzustellen. Diese Geräte wurden immer an Hanfschnüren nach unten gelassen und nicht an dem Klaviersaitendraht, den die meisten Ozeanografen bevorzugten, weil er meinte, die vielen Meilen von solchem Draht, die nötig wären, um die enormen Tiefen zu erforschen, würden für die Kräne des Schiffes zu schwer sein. Zuerst fanden seine Männer recht wenig in dem roten Lehm, den sie vor der afrikanischen Küste nach oben holten, doch dann, vor den Westindischen Inseln, holten die Schöpfvorrichtungen aus einer Tiefe von fast sechstausend Metern ein Paar unscheinbarer Ringelwürmer an Deck, was einige Aufregung auslöste, weil es zeigte, dass es keine Tiefengrenzen gab, unterhalb derer kein Leben mehr möglich war, und »Tiere auf dem gesamten Meeresboden existieren«.
    Das große Schiff dampfte auf dem Atlantik hin und her, von den Kanarischen Inseln zu den Bermudas, von Halifax nach Kap

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