Der Atlantik - Biographie eines Ozeans
Prospero von einem Schauspieler verkörpert wurde, den viele wegen seines guten Aussehens vergötterten und der ein großes Kontingent von Zuschauern mittleren Alters – zumeist aufgeregt schnatternde Damen – angezogen hatte.
Sie alle waren gekommen, um sich ein mystisches, magisches Theaterstück anzusehen, ein Drama, das ein Autor, der sich auf dem Höhepunkt seiner Kreativität befand, auf der Grundlage einer vom Atlantik handelnden Geschichte ersonnen hatte.
2. Erste Worte
L ange, sehr lange bevor man erkannte, dass der Atlantik ein Ozean war, waren die Künstler sich schon seiner schrecklichen Schönheit bewusst und setzten sich mit ihr auseinander. Die Dichter gehörten zu den Ersten, denen sie aufgefallen war. Die Lyriker der Antike hatten natürlich schon lange das Meer besungen, doch das einzige ihnen wirklich bekannte war das Mittelmeer gewesen, dem es an Dramatik weitgehend mangelt: Es ist eher ein ruhiges, warmes, ziemlich zahmes Gewässer, beinahe so etwas wie ein Vorgartenteich, dem keine richtige Majestät innewohnt. Die schäumenden grauen Wasser des Atlantiks waren etwas ganz anderes, und es scheinen die Iren gewesen zu sein, die, als sie schließlich den Mut gefasst hatten, ihre curraghs in die tosenden Wogen zu stoßen, als Erste ihre dichterische Ader dazu nutzten, in Versen oder in Prosa über ihre einzigartige maritime Umgebung nachzusinnen.
Über die epische Fahrt des heiligen Columban nach Norden, von Irland an die schottische Westküste, im 6. Jahrhundert wurde viel geschrieben – und man begegnet in diesen Werken bewegenden Bildern von ganzen Flotten von curraghs , die über die aufgewühlte See von Antrim nach Galloway übersetzen. Doch sind die Texte über den Heiligen im Allgemeinen eher narrativer als kontemplativer Art. Die Dichtungen, die von den Missionszügen dieses großen Apostels handeln, gelten als die frühesten in der Umgangssprache verfassten in der europäischen Literaturgeschichte, doch wird der Ozean in ihnen nur am Rande behandelt, und zwei weitere Jahrhunderte mussten vergehen, bevor die ersten kleinen poetischen Würdigungen der See entstanden.
Rumann, der Sohn des Colmán, war ein auf Gälisch schreibender Dichter des 8. Jahrhunderts; es heißt, dass er sich bei den Iren eines ähnlichen Rufs erfreute wie Vergil bei den Römern oder Homer bei den Griechen. Sein bekanntestes kurzes Gedicht »Sturm auf See«, um 700 verfasst, wird zu Recht als eine der frühesten Reflexionen des Menschen über den Atlantik betrachtet. Es umfasst acht Strophen und wurde in den 1950er Jahren von dem großen irischen Romancier und Lyriker Frank O’Connor ins Englische übersetzt:
When the wind is from the west
All the waves that cannot rest
To the east must thunder on
Where the bright tree of the sun
Is rooted in the ocean’s breast.
(Wenn der Wind vom Westen weht,
müssen alle aufgewühlten Wogen
zum Osten hin tosen,
wo der strahlende Sonnenbaum
in des Ozeans Brust wurzelt.)
In den Adern der Kelten floss ganz eindeutig Meerwasser, doch auch die angelsächsischen Schriftsteller im England des Frühmittelalters waren von der See mit ihrer ganzen Pracht und Macht gefesselt. Ihre ersten Texte über das Meer entstanden beinahe zur selben Zeit wie die ihrer irischen Nachbarn. Es überrascht wohl kaum, dass ein solches Seefahrervolk wie das englische schon früh in seiner Geschichte eindrucksvolle Verse über die Küstengewässer um die Insel hervorbrachte. Das bekannteste der im 8. Jahrhundert entstandenen Gedichte über den Ozean wird heute in einem Raum unter dem Dach des Bishop House hinter der Kathedrale von Exeter in Devon aufbewahrt. Seit 1072, als der große Gelehrte Leofric starb und seine aus sechsundsechzig gebundenen Handschriften bestehende Bibliothek der Kathedrale hinterließ, hat ein unscheinbar aussehender, eher kleiner Band von der Bedeutung seines Inhalts her alle anderen bei Weitem überragt. Es handelt sich um einen Kodex, der einfach nur als Exeter Book bekannt ist und unbestritten die größte Sammlung poetischer Texte aus seiner Zeit enthält, die wir kennen.
Dieser kostbare Kodex hat ein ebenso hartes wie langes Leben hinter sich. Der Originaleinband ist nicht erhalten, und acht seiner ursprünglich einhunderteinunddreißig Seiten sind verloren gegangen, eine wurde offensichtlich einmal als Untersetzer für Weingläser benutzt, andere sind angesengt, und auf wieder anderen finden sich Rillen und Kerben, die darauf hinweisen, dass sie als
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