Der Atlantis-Komplex
die Augen öffnete, sah er Foalys Rumpf vor sich. Das eine Hinterbein des Zentauren zuckte heftig, während er im Traum gegen irgendwelche Dämonen kämpfte. Irgendwo spielte Musik. Vertraute Musik. Artemis schloss die Augen und dachte: Ich kenne die Musik, weil ich sie komponiert habe. »Sirenengesang« aus meiner unvollendeten 3. Sinfonie .
Und warum war das wichtig?
Es ist wichtig, weil ich es in meinem Handy als Klingelton für Mutter eingerichtet habe. Sie ruft mich an.
Artemis tastete nicht suchend seine Taschen ab, weil er sein Handy immer in derselben Tasche hatte. Er ließ seinen Schneider sogar bei jedem Jackett einen verdeckten Reißverschluss in die Brusttasche einnähen, damit er sein Handy nicht verlieren konnte. Denn wenn Artemis Fowl sein Spezialhandy verlor, war das ein wenig dramatischer, als wenn irgendein Schuljunge sein neuestes Modell mit Touchscreen verlor − es sei denn, in dem Handy dieses Schuljungen befanden sich die nötigen technischen Extras, um sich in jeden beliebigen Regierungsserver einzuhacken, ein netter kleiner Laserpointer, den man so einstellen konnte, dass er auch durch Metall schnitt, und der erste Entwurf von Artemis Fowls Memoiren, die brisanter waren als irgendwelche intimen Enthüllungen.
Artemis’ Finger waren kalt und taub, aber nach ein paar Versuchen gelang es ihm, den Reißverschluss aufzuziehen und sein Handy herauszufummeln. Auf dem Display lief eine Diashow mit Fotos von seiner Mutter, während die Anfangstakte des »Sirenengesangs« aus dem winzigen Lautsprecher erklangen.
»Handy«, sagte er laut, um die Stimmsteuerung zu aktivieren.
»Ja, Artemis?«, meldete sich die Stimme von Lily Frond, die Artemis nur ausgewählt hatte, um Holly zu ärgern.
»Nimm den Anruf an.«
»Natürlich, Artemis.«
Einen Augenblick später stand die Verbindung. Der Empfang war schlecht, aber das war nicht weiter schlimm, da Artemis’ Handy mit einer automatischen Sprachergänzung ausgestattet war, die zu fünfundneunzig Prozent korrekt arbeitete.
»Hallo, Mutter. Wie geht es dir?«
»Arty, kannst du mich hören? Bei mir ist ein Echo in der Leitung.«
»Nein, hier nicht. Ich höre dich sehr gut.«
»Irgendwie klappt das mit der Videofunktion nicht, Artemis. Du hast mir versprochen, dass wir uns sehen können.«
Sein Handy hatte natürlich eine Videooption, aber Artemis hatte sie deaktiviert, weil er annahm, dass seine Mutter nicht gerade begeistert sein würde, wenn sie ihren Sohn zerzaust in den Sicherheitsgurten einer ramponierten Rettungskapsel hängen sah.
Zerzaust? Schön wär’s. Wahrscheinlich sehe ich aus wie ein Kriegsflüchtling, was ich in gewisser Weise ja auch bin.
»Hier in Island gibt es kein Videonetzwerk. Das hätte ich vorher überprüfen sollen.«
»Hmmm«, machte seine Mutter, und Artemis kannte diesen Ton nur allzu gut. Sie vermutete, dass er etwas angestellt hatte, wusste aber nicht, was.
»Du bist also wirklich in Island?«
Artemis war froh, dass es keine Videoverbindung gab, denn von Angesicht zu Angesicht fiel es ihm schwerer zu lügen.
»Natürlich. Warum fragst du?«
»Weil das GPS dich mitten im Nordatlantik ortet.«
Artemis runzelte die Stirn. Seine Mutter hatte darauf bestanden, dass er eine GPS -Funktion in seinem Handy einrichtete, wenn er allein verreisen wollte.
»Das ist wahrscheinlich nur ein Fehler im Programm«, sagte Artemis, während er schnell die GPS -Funktion aufrief und seine Position von Hand nach Reykjavík verschob. »Manchmal spinnt der Signalgeber ein bisschen. Versuch’s einfach noch mal.«
Einen Moment herrschte Stille, bis auf das Klappern von Tasten, dann kam ein weiteres Hmmm .
»Ich nehme an, es ist überflüssig, dich zu fragen, ob du irgendwas im Schilde führst? Artemis Fowl führt immer irgendwas im Schilde.«
»Das ist unfair, Mutter«, protestierte Artemis. »Du weißt, woran ich arbeite.«
»Oh ja, das weiß ich. Meine Güte, Arty, du redest über nichts anderes als dein Großes Projekt.«
»Es ist wichtig.«
»Das weiß ich, aber Menschen sind auch wichtig. Wie geht es Holly?«
Artemis sah zu Holly hinüber, deren Körper um den Fuß einer Sitzbank gerollt war und die leise schnarchte. Ihre Uniform war ziemlich mitgenommen, und aus ihrem einen Ohr rann Blut.
»Oh … äh … bestens. Sie ist ein bisschen müde von der Reise, aber sie hat alles im Griff. Ich bewundere sie wirklich, Mutter. Vor allem die Art, wie sie alles bewältigt, womit sie konfrontiert wird, ohne jemals
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