Der Attentäter - The Assassin
den Preis zu zahlen, kann die Entscheidung aber nicht für einen anderen fällen, mit Sicherheit nicht für Sie. Falls Sie wollen, dass ich nach einem anderen Weg suche, werde ich es tun.«
Harper nickte müde, und das Kinn sackte auf seine Brust. Kurzzeitig fragte sich Kealey, ob er eingenickt war, doch dann hob er den Kopf. »Wir kennen uns seit acht Jahren. Ich denke, Sie vergessen das gelegentlich.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Da mir klar war, dass Sie mich, unabhängig von Brennemans Entscheidung, auf jeden Fall fragen würden, habe ich Kharmai schon Instruktionen gegeben, bevor wir das Weiße Haus verließen.«
Kealey war nicht besonders überrascht. Kharmais überstürzter Abschied war etwas ungewöhnlich gewesen. »Und weiter?«
»Sie wird das nötige Material heute Abend um zehn in Ihr Zimmer bringen. Sehen Sie alles in Ruhe durch, aber achten Sie darauf, ihr alles zurückzugeben, bevor Sie das Hotel verlassen. Wenn Sie auf frischer Tat ertappt werden, dürfen Sie nichts bei sich haben.«
Das war überflüssig, aber Kealey nickte trotzdem. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, und auf einmal kam es ihm so vor, als wäre sein Blick geschärft. Er konnte die Jagd auf Vanderveen wieder aufnehmen. »Ich verstehe …«
Er verstummte, weil Harper seinen Arm packte, was er noch nie getan hatte. »Ich hoffe sehr, dass Sie mich verstehen. Wenn
Sie geschnappt werden, sind Sie auf sich allein gestellt. Ich kann keinen Finger heben, um Ihnen zu helfen. Und Kharmai hat mit dieser Geschichte nichts zu tun. Sie liefert die Unterlagen ab, aber damit ist die Sache für sie erledigt. Es ist mir egal, wie viel sie jammert, sie bleibt außen vor. Ich habe sowieso den Eindruck, dass sie fast alles für Sie tun würde, aber vergessen Sie nicht, dass es um ihre Karriere geht, okay? Und machen Sie ihr das auch klar.«
Harper ließ seinen Arm los und suchte erneut nach einem Tempo, weil er von einem Hustenanfall geschüttelt wurde. Kealey stand auf. »Zehn Uhr?«
»Ja. Sie sollten sich besser beeilen.«
Er ging schnell los, blieb aber noch einmal stehen und drehte sich um. Harper saß immer noch auf der Bank, mit vor Müdigkeit herabhängenden Schultern. Plötzlich wurde Kealey von Gefühlen übermannt. Harper war keine zehn Jahre älter als er und doch derjenige, den er am ehesten als eine Art Mentor bezeichnet hätte. Und nun setzte dieser Mann für ihn seine Karriere aufs Spiel. Für Kealey hatte das Ganze nichts mit Thomas Rühmann oder dem bevorstehenden Treffen bei den Vereinten Nationen zu tun. Ihm ging es einzig und allein darum, Vanderveen zu finden. Alles andere spielte für ihn keine Rolle, und er vermutete, dass Harper es wusste. Und wahrscheinlich noch einiges mehr.
Doch nichts davon musste gesagt werden, sie kannten sich schon zu lange. Er drehte sich um und verschwand.
27
Washington, D.C. / Calais
Kealey war noch keine zehn Minuten in seinem Hotelzimmer, als es an der Tür klopfte. Ihm war gerade genug Zeit geblieben, um zu duschen und andere Sachen anzuziehen. Jetzt trug er eine dunkelgraue Arbeitshose, Turnschuhe und eine dünne Jacke mit Reißverschluss. Er öffnete, und Kharmai kam herein.
Sie marschierte an ihm vorbei und blickte sich um, als würde sie Kealeys Zimmer mit ihrem vergleichen. Dann warf sie einen dicken Schnellhefter auf den Tisch und wandte sich ihm zu. »Ich nehme an, Harper hat dir gesagt …«
»Hat er.«
»Er geht ein ziemliches Risiko ein, wenn du mich fragst.«
Sie schaute ihm direkt in die Augen, aber er wandte den Blick ab und griff zum Telefonhörer. »Ich wollte gerade Kaffee bestellen. Trinkst du einen mit?«
»Lieber einen Tee.«
Er nickte und rief den Zimmerservice an. Nachdem er die Bestellung aufgegeben hatte, setzte er sich zu ihr an den Tisch, wo er das Briefpapier des Hotels und einen Stadtführer beiseiteschob, ein Begrüßungsgeschenk für die Gäste. Kharmai begann sofort über die Sicherheitsmaßnahmen außerhalb der Botschaft zu reden, doch er merkte, dass etwas nicht stimmte. Sie plapperte zu schnell, als fürchtete sie sich vor einer bevorstehenden Auseinandersetzung, und hütete sich, ihn anzuschauen.
Irgendwann war sie fertig, und als sie aufblickte, sah sie Kealeys Augen auf sich ruhen.
»Ist was?«
»Warum dieses Outfit?«
Sie blickte an sich herab. Eigentlich war an ihrer Kleidung nichts auffällig. Sie trug einen Kapuzenpulli, eine Jogginghose und Laufschuhe. Ihn irritierte, dass die Sachen alle schwarz waren, und das konnte in dieser Situation
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