Der Attentäter - The Assassin
Ego. Der frühere Vizepräsident war so irrational und engstirnig wie seine Gesinnungsgenossen, aber auch ein Mann, mit dem man sich besser nicht anlegte. Durch al-Umaris letzte gute Tat verfügte al-Douri über die finanziellen Mittel, ihn bis ans Ende der Welt verfolgen zu lassen, und er hatte keine Lust, für den Rest seiner Tage über die Schulter blicken zu müssen. Aber eigentlich spielte all das keine Rolle, weil er diese Sache um jeden Preis durchziehen wollte. Er hatte das Geld genommen, was aber nicht der entscheidende Faktor gewesen und auch keine Garantie für seine Loyalität war; al-Douri hatte ihn zu einem reichen Mann gemacht, aber er schuldete den Irakern so wenig wie den Amerikanern, die ihm das Töten beigebracht hatten. Ihn trieb nicht der Gedanke an, was er mit dem Geld alles kaufen konnte, sondern der, was sich damit an Plänen umsetzen ließ.
Zwanzig Millionen Dollar. Bisher war ihm nicht viel Zeit geblieben, darüber nachzudenken, doch nun, während sich der Audi den Lichtern von Calais näherte, gingen ihm Gedanken durch den Kopf, was sich mit dieser Riesensumme anfangen ließ. Als sie in die Stadt hineinfuhren, beschäftigten ihn Pläne, die bisher allenfalls Träume gewesen waren. Und diese Träume galten nicht, wie bei anderen, dem Luxus, den er sich nun leisten konnte. Ihn beschäftigten Gedanken an einen warmen Septembermorgen des Jahres 2001 und das Wissen darum, was ein Mann zustande gebracht hatte, der nur über einen Bruchteil des Geldes verfügte, das nun auf sein Züricher Nummernkonto floss, aber über den Willen und die erforderliche Entschlossenheit.
»Das hätte besser laufen können«, sagte Harper.
Sie schlenderten durch die National Mall, und es schien merkwürdig, dass schon am frühen Abend nur so wenig Menschen in der Grünanlage waren. Die Touristen waren bereits in ihre Hotels zurückgekehrt, die Obdachlosen noch nicht eingetroffen. Kealey fühlte sich komisch in dem geliehenen grauen Anzug, und die schwarzen Lederschuhe, ebenfalls von Harper, waren eine Nummer zu klein. Trotzdem, die frische Luft des Ostwinds tat gut nach der klaustrophobischen Atmosphäre des Weißen Hauses. Sie hatten das Grundstück durch den Fußgängereingang im Südwesten verlassen und waren dann über die Pennsylvania Avenue spaziert, an Kealeys Hotel vorbei. Kharmai war irgendwann urplötzlich verschwunden, aber Harper hatte ihr vorher noch ein paar Worte ins Ohr geflüstert. Kealey fragte sich kurz, worum es dabei gegangen war, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, danach zu fragen. Es gab andere Dinge, die ihn mehr beschäftigten.
Der Präsident war Kharmais Vorschlag mit einer gesunden Portion Skepsis begegnet, aber man musste ihm lassen, dass er aufmerksam zugehört hatte, als sie die Notwendigkeit des Einbruchs in die deutsche Botschaft begründete und anschließend erklärte, wie ein so riskantes Manöver erfolgreich durchgeführt werden konnte. Obwohl ihr Vortrag überzeugend war, hatte Brenneman schließlich einmal mehr auf die gegenläufigen Informationen des FBI verwiesen und seine Absicht bekräftigt, die deutsche Kanzlerin am nächsten Tag persönlich anzurufen. Genau das hatten sie zu vermeiden gehofft.
»Glauben Sie, dass sie sich kooperationsbereit zeigen wird?«, fragte Kealey schließlich.
»Kanzlerin Merkel? Ich bezweifle es. Sie hat nichts zu gewinnen, wenn sie sich auf diese unappetitliche Geschichte einlässt. Vermutlich wird Rühmann morgen Nachmittag einen Anruf von einem seiner Freunde aus dem Kabinett bekommen, und dann ist er innerhalb von ein paar Stunden außer Landes. Wahrscheinlich war es ein Fehler, Brenneman damit zu konfrontieren, aber es musste sein. Das wissen wir beide.«
»Vielleicht, aber wir müssen den Anruf hinauszögern«, sagte Kealey eher zu sich selbst. »Wenn er morgen anruft, sehen wir alt aus. Rühmann ist unsere einzige Spur. Wenn jemand weiß, was Vanderveen vorhat, dann er.«
»Ganz meine Meinung, aber ich sehe keine Möglichkeit, wie wir uns aus der kleinen Falle befreien sollten, in die wir uns selbst hineinmanövriert haben. Judd hat sich gerächt für Ihre Aktion in Alexandria. Himmel, er hat eine Quelle in der iranischen Regierung. Wer hätte damit rechnen können?«
»Meiner Ansicht nach ist das blanker Unsinn. Dieser angebliche Informant weiß ein bisschen zu viel, wenn Sie mich fragen. Ich verstehe nicht, warum sie das beim FBI nicht begreifen.
Kein Mensch hat Zugang zu solchen Informationen, solange er nicht
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