Der Attentäter - The Assassin
befasst war, denn er war einer der erfahrensten Agenten der CIA, insbesondere, wenn es um den Nahen und Mittleren Osten ging. Trotzdem regten sich angesichts der unglückseligen Entwicklung in seinem Inneren unangenehme Zweifel, ob er in der Vergangenheit immer richtig gehandelt hatte. Jetzt schien ihm, dass der Schuss, den er vor acht Jahren in der brütenden syrischen Hitze abgefeuert hatte, ihn seitdem verfolgte. Eigentlich hätte Kealey ihn nicht überleben dürfen. Er verstand, dass sein ehemaliger Kommandeur nach einem solchen Verrat auf Rache sann, doch dieses Rachebedürfnis hatte noch einen anderen Grund als die beinahe tödliche Schusswunde und den Verlust seiner Soldaten. Einmal mehr fragte er sich, ob es nicht ein Fehler gewesen war, dass er die Frau in jener Nacht in Maine getötet hatte.
Ja, sagte eine innere Stimme, die gleiche Stimme, die ihn seit seiner Jugendzeit geleitet hatte. Seit Monaten stellte er sich diese Frage immer wieder, nun hatte er die Antwort. Es war ein Fehler, die Frau in einem Anfall blinder Wut umzubringen. Besser wäre es gewesen, Kealey zu töten. Indem er ihn verschont und stattdessen seine Freundin ermordet hatte, war nur er selbst dafür verantwortlich, dass Kealey hoch motiviert war und ihn bis ans Ende der Welt verfolgen würde.
Trotz dieser unangenehmen Gedanken beruhigte ihn etwas, das er im Laufe der Jahre gelernt hatte - eine verpasste Chance war selten für alle Zeiten verstrichen, meistens kam sie wieder. Wichtig war nur, die zweite Chance im richtigen Moment zu erkennen, und das galt auch auf der Gegenseite. Das Schicksal hatte Ryan Kealey etliche Chancen geboten, die er alle verspielt hatte. In Syrien hatte er nicht getroffen, nachdem er fast die Hälfte seiner Soldaten durch Vanderveens Kugeln verloren hatte, und auch in jener kühlen Nacht in Maine vor fast einem Jahr hatte er es nicht geschafft, den Job zu beenden. Stattdessen hatte er darauf gezählt, das sturmgepeitschte Meer würde den Rest erledigen.
Jetzt hatte sich das Blatt einmal mehr gewendet, und Vanderveen wusste, dass er diesmal nicht versagen würde. Tatsächlich wurde ihm plötzlich klar, dass sich vielleicht sogar die Gelegenheit bot, sich zwei Probleme auf einen Schlag vom Hals zu schaffen. Er zweifelte nicht daran, dass Kealey nichts unversucht lassen würde, um Thomas Rühmann zu finden. Hier war er im Vorteil, weil er bereits wusste, wo sich der österreichische Waffenschieber versteckte. Er musste nur zuerst vor Ort sein. Und das erforderliche Material zur Hand haben.
Dieser Gedanke ließ ihn die Stirn runzeln. Bei dem zweiten Telefonat war ihm versichert worden, sein Auftrag werde
erfüllt, doch er wusste nicht, ob er daran glauben sollte. Im Gegensatz zum Mittleren Osten verfügte er in Westeuropa nur über sehr wenige Kontakte. Aber wenn der Agent der Aufständischen in England versagte, bestand die Chance - die realistische Chance -, dass Yasmin Raseen die richtigen Leute an der Hand hatte. Nach al-Tikritis Andeutungen war sie ausgiebig in Europa aktiv gewesen, was sich auch hier in Frankreich schon ausgezahlt hatte.
Als die Lichter des Belfrieds näher kamen, wurde er plötzlich durch den Schrei einer Frau aus seinen Gedanken gerissen, der abgewürgt klang, ganz so, als hätte sich eine Hand auf den geöffneten Mund gelegt. Kurz darauf hallte das Gelächter eines Betrunkenen durch die Dunkelheit, gefolgt von einem deutlich vernehmbaren Grunzen.
Er blieb nicht stehen, sondern beschleunigte seinen Schritt. Bevor die Polizei kam, wollte er den Park verlassen haben. Der Bahnhof lag in der Nähe, östlich des Rathauses. Was immer dort geschah - ein Raub, eine Vergewaltigung -, es ging ihn nichts an. Wenn ihm an seiner Freiheit lag, verbot sich eine Einmischung in derlei Angelegenheiten, doch seine Entscheidung wurde auch unbewusst durch seine völlige Gleichgültigkeit gesteuert. Aber das nächste Geräusch ließ ihn wie angewurzelt stehen bleiben und einen leisen Fluch ausstoßen.
Die Frau hatte erneut aufgeschrieen, doch diesmal folgte dem Schrei ein Schwall derber Flüche. Arabischer Flüche.
Neben dem Weg war eine relativ freie Fläche, was zugleich ein Vor- und ein Nachteil war. Der Rasen unter seinen Füßen war kürzlich gemäht worden und noch nass vom Regen, und da die Hecken und die Äste der Bäume ordentlich gestutzt waren, hatte er eine gute Sicht - soweit sie angesichts der Dunkelheit
überhaupt gut sein konnte. Glücklicherweise waren Bäume und Sträucher um das
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