Der Attentäter - The Assassin
er in diesem wohlhabenden Viertel um diese Uhrzeit durchaus verdächtig wirken. Die Polizisten in dem Reichenviertel hätten ihn durchaus für eine zweifelhafte Erscheinung halten können, und er war heilfroh, dass sie nicht angehalten hatten. Aber er konnte nicht darauf zählen, dass ihm dieses Glück treu bleiben würde, und musste so schnell wie möglich von der Straße verschwinden.
Der schwarze Metallzaun reichte ihm nur bis zur Taille und stellte kein Hindernis dar. Er kletterte schnell hinüber, und als er schon ein gutes Stück zurückgelegt hatte, knisterte das Funkgerät, und er hörte Kharmais Stimme. »Ich habe jetzt Position bezogen, Ryan. Wo bist du?«
»Auf dem Grundstück. Ich nähere mich dem Gebäude aus nordöstlicher Richtung.«
»Wie weit ist es noch?«
»Ungefähr zweihundertfünfzig Meter.«
»Okay. Bleib noch kurz dran.«
Kharmai fand das richtige Satellitenbild, legte es auf ihre Oberschenkel und versuchte, sich über Kealeys augenblickliche Position klar zu werden. Da die Bilder eine sehr hohe Auflösung hatten, war es nicht schwierig, anhand bestimmter Orientierungspunkte
Entfernungen einzuschätzen. Sie hatte den Taurus unter einer Straßenlaterne abgestellt, direkt gegenüber der Botschaft, doch leider war das Licht ziemlich schwach. Schließlich war sie sich sicher, Kealeys Position gefunden zu haben.
»Du müsstest jetzt dreißig Meter weiter westlich eine Baumgruppe sehen, Ryan.«
Eine kurze Pause, dann: »Ich sehe sie.«
»Bleib auf dieser Seite der Bäume und folge ihnen Richtung Westen. Irgendwann kommt eine Hecke, die direkt zu dem Gebäude führt.« Sie griff nach einem anderen Bild und studierte es schnell. »Die Kameras sind unter dem ersten Balkon angebracht, über der Tür. Der zweite Balkon erstreckt sich von der Seitenwand des Gebäudes bis zu der Stelle direkt über den Kameras. Also solltest du da reingehen, an der nordwestlichen Ecke.«
»Alles klar.«
»Vergiss nicht, die Kameras haben eine Reichweite von mindestens fünfzig Metern. Achte darauf, dass man nicht deinen Kopf über der Hecke sieht.«
»Okay. Ich melde mich, wenn ich da bin.«
Sie nickte unbewusst, nahm den Daumen vom Knopf des Funkgeräts und suchte in dem dicken Schnellhefter nach dem Grundriss des Erdgeschosses der Botschaft. Von den Satellitenbildern abgesehen, stammte das gesamte Material von der durch ORACLE rekrutierten Quelle innerhalb der Vertretung. Dieser Diplomat, enger Mitarbeiter eines Botschaftssekretärs, war befördert und vor knapp zwei Monaten nach Frankreich versetzt worden. Unglücklicherweise war er dort, wie sie vor fünf Stunden erfahren hatte, kurz nach seiner Ankunft bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Wäre er noch in
Washington gewesen, hätte er uneingeschränkten Zugang gehabt zu den Informationen, die sie dringend benötigten. Jetzt musste ein neuer Informant innerhalb der Botschaft gefunden werden, doch es war eine heikle und vor allem langwierige Angelegenheit, ausländische Diplomaten davon zu überzeugen, die Seiten zu wechseln. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden ließ sich so etwas nicht arrangieren.
Zum wiederholten Mal blickte sie in den Rückspiegel. Der Wagen stand in einem Wohnviertel, und ihr war klar, dass sie sofort Verdacht erregen konnte, wenn zufällig jemand aus dem Fenster schaute. Doch dagegen ließ sich nichts machen, und sie brauchten nicht einmal eine Stunde, vielleicht sogar nur vierzig Minuten. Sie konnte nur hoffen, dass das Glück ihr treu blieb.
Mach schon, Ryan, dachte sie, während ihre Finger nach dem Funkgerät tasteten. Beeil dich.
Nachdem er über den Zaun geklettert war, hatte Kealey sich eine schwarze Maske übers Gesicht gezogen. Jetzt lehnte er an der Außenwand der Botschaft, wo er von den Kameras nicht erfasst werden konnte, und blickte an seinen schwarzen Kleidungsstücken hinab. Sie waren nass vom morgendlichen Tau, denn er war die letzten siebzig Meter über den Rasen gekrochen. Als er den Rucksack abnahm, wünschte er, er könnte die Müdigkeit abschütteln, die ihn zu überwältigen drohte. Seit fast vierundzwanzig Stunden hatte er kein Auge zugetan. Zwar hatte er während seiner Zeit bei der Army Dutzende von Aufträgen unter ähnlichem Druck erledigt, doch er wusste, dass in diesem Fall seine gesamte körperliche und psychische Stärke gefragt war. Er durfte nicht eine Sekunde unkonzentriert sein.
Die Radionics-V1160N-Kameras waren direkt um die Ecke angebracht, in zweieinhalb Metern Höhe, und mit
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