Der Attentäter - The Assassin
Anderthalb Minuten später war er wieder auf der Straße und rannte durch den strömenden Regen auf den Mercedes zu, dessen Motor im Leerlauf lief. Nachdem er den Rucksack in den Kofferraum geworfen hatte, stieg er ein und stellte den Kasten zwischen seine Beine.
Raseen legte den Gang ein. »Hast du ihn erwischt?«
»Ich glaube nicht. Vielleicht die Frau, doch auch das ist nicht sicher.« Er fluchte und schlug so heftig mit der Faust auf das Armaturenbrett, dass Raseen zusammenzuckte. »Dieses Arschloch aus Dresden …«
»Wovon redest du?«
»Er hat uns angelogen. Niemand hat die Waffe eingeschossen, das Visier war absolut nicht optimal justiert. Kealey war gerade mal hundert Meter entfernt, und ich habe ihn verfehlt. Verfehlt. «
»Es muss am Regen gelegen haben. Man kann kaum die Hand vor den Augen sehen. Es war nicht das erste Mal, dass ich mit diesem Mann zusammengearbeitet habe. Ich glaube nicht, dass er …«
»Es lag an dem Gewehr«, beharrte Vanderveen. »Aber es spielt keine Rolle, ich werde die Scharte auswetzen, wenn sich die Möglichkeit ergibt.« Er lehnte sich zurück und atmete tief
durch, um sich zu beruhigen. »Wir müssen verschwinden. Du hältst in der Nähe der Oberbaumbrücke, damit ich den Kasten in den Fluss werfen kann. Dann geht’s zum Flughafen.«
Sie blickte ihn an. »Kanada?«
Er nickte und schaute auf die Uhr. »Unser Flugzeug geht in zwei Stunden, morgen früh sind wir da. Und wenn wir Glück haben, sind wir morgen Abend bereits in den Staaten. Die Fahrt von Montreal nach New York City dauert ungefähr sieben Stunden, aber wir werden doppelt so lange brauchen, da ich mich für die Route entschieden habe, die auch Nazeri immer nimmt.« Während der Fahrt von Potsdam nach Berlin hatte er ihr erzählt, welche Rolle Amir Nazeri bei dem bevorstehenden Anschlag spielte. »Ich will nicht von seiner Routine abweichen.«
»Und dann?«
Er lächelte. »Dann beenden wir den Job. Schon möglich, dass sie mit dem Leben davongekommen sind, aber sie haben nichts in der Hand und nicht die geringste Chance, uns zu stoppen.«
Als Kealey auf das Wasser prallte, verschlug es ihm den Atem. Er tauchte tief ein und versuchte, sich mit energischen Beinstößen wieder an die Oberfläche zu manövrieren. Als er gerade glaubte, das Bewusstsein zu verlieren, war sein Kopf plötzlich wieder über Wasser, und er atmete tief durch. Der Regen prasselte auf den Fluss nieder, einige Tropfen fielen in seinen offenen Mund.
Als er sich umsah, konnte er kaum etwas erkennen, und er war versucht, ihren Namen zu rufen. Aber es schien unnötig, irgendetwas sagte ihm, dass Kharmai nichts passiert war. Und da sah er sie auch schon. Trotz des Regens erkannte er, dass sie Probleme hatte, denn sie konnte nur den rechten Arm benutzen,
um sich über Wasser zu halten. Er schwamm los, und als er bei ihr war, streckte sie sofort die Hand nach ihm aus.
»Ich schaffe es nicht«, stammelte sie. »Ich hab’s versucht, aber …«
»Halt dich an mir fest. Keine Panik, versuch einfach, den Kopf über Wasser zu behalten.«
Sie nickte schwach, und er schwamm los, in Richtung der Jachten unter der Luisenbrücke. Ihr verwundeter Arm klammerte sich an seinen Oberkörper, doch sie versuchte, keine zu große Last für ihn zu sein, denn er hörte sie mit dem rechten Arm rudern. Schließlich erreichten sie eine hölzerne Leiter an der Anlegestelle.
»Gleich hast du’s geschafft, Naomi. Komm schon, es sind nur ein paar Sprossen.«
Kein Zweifel, sie war völlig erschöpft, aber sie streckte den rechten Arm aus und packte eine Sprosse. Dann folgte langsam der linke, und sie kletterte mühsam los. Er war dicht hinter ihr, um sie zu stützen. Oben angekommen, legte sie sich auf die Holzplanken.
Er half ihr auf und schaute sich um. Zu seiner Rechten waren hintereinander fünf Jachten vertäut. Nur in den ersten beiden brannte hinter den Fenstern Licht, und er hörte das leise Summen eines Generators.
Kharmai stand im Regen und zitterte am ganzen Leib. Im Licht eines Blitzes sah er ihr bleiches Gesicht und die von der Kälte bläulich verfärbten Lippen. Seit dem Einbruch der Nacht war die Temperatur stark gefallen, auf etwa fünf Grad. Sie durfte auf keinen Fall weiter draußen bleiben.
Er packte ihren heilen Arm und zog sie zu der letzten Jacht. Sie war fast achtzehn Meter lang und hatte eine überdachte Brücke. Nachdem er über die Reling geklettert war, half er
ihr an Bord. Auf Deck gab es einen am Boden festgenieteten
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