Der Attentäter - The Assassin
wenn es so weit war, brauchte sie sich um eine Fortsetzung ihrer Laufbahn endgültig keine Gedanken mehr zu machen. Plötzlich empfand sie ein starkes Schuldgefühl; während sie an ihre Karriere dachte, lag Shane Bennett - ein Kollege, ein anständiger Mann - tot in Rühmanns Büro. Jetzt fiel ihr wieder ein, woran sie beim Anblick von Rühmanns entstelltem Gesicht gedacht hatte, und sie wusste, dass es stimmte - ihr war etwas Grundsätzliches abhandengekommen, die Fähigkeit, Mitleid zu empfinden. Ohne es eigentlich zu merken, war sie härter geworden, in einem Ausmaß, wie sie es nie für möglich gehalten hätte.
»Ich fürchte, uns bleibt keine andere Wahl«, sagte sie schließlich resigniert. Aber ihre Stimme drückte noch etwas aus, das
er nicht genau bestimmen konnte. »Die Wahrheit kommt sowieso heraus. Bringen wir es hinter uns.«
»Ich muss eine Telefonzelle suchen. Es wird nicht lange dauern. Ich habe mich umgesehen … Hier war schon lange niemand mehr. Bis ich zurück bin, kommt bestimmt keiner.«
Als er an der Tür war, rief sie seinen Namen, und er blickte sich um.
»Ryan, ich …« Sie wandte den Blick ab und zog die Decke fester um ihre Schultern. Etwas beschämt hoffte sie, dass er in dem Zwielicht ihr Gesicht nicht sah. Einmal mehr hatte er sein Leben aufs Spiel gesetzt, um ihres zu retten. Wenn es je einen passenden Moment gegeben hatte, um ihre Gefühle zu artikulieren, dann jetzt. Die Worte lagen ihr auf der Zunge, aber sie sagte etwas anderes.
»Bleib nicht zu lange weg, okay?«
41
Berlin
Die diplomatische Vertretung der Vereinigten Staaten in Berlin war ein reizloses Gebäude im Botschaftsviertel südlich des Tiergartens. Gesichert war sie durch jede Menge rot-weiße Schranken, schwere Betonpoller und mehrere Reihen Stacheldraht. Deutsche Polizisten mit automatischen Waffen schoben Dienst, und ein Tourist konnte sich angesichts des Anblicks durchaus fragen, ob der Ost-West-Konflikt wirklich vorbei war.
Um sieben Uhr am nächsten Morgen wachte Kealey in einem Feldbett in einem nicht genutzten Raum im ersten Stock der Botschaft auf. Auf einem an der Wand angebrachten Fernseher lief CNN, und der Ton war sehr leise gestellt, damit Kharmai nicht wach wurde, die in dem benachbarten Bett schlief. Trotzdem bekam Kealey genug mit, um sich über die laufenden Ereignisse zu informieren. Im Irak eskalierte die Lage von Tag zu Tag mehr. Vor zwölf Stunden hatte es in Basra eine Reihe koordinierter Anschläge gegeben, die offenbar von syrischen Sympathisanten der Aufständischen verübt worden waren. Innerhalb von vierzig Minuten waren drei Polizeistationen in die Luft gejagt worden, außerdem die örtliche Niederlassung des Internationalen Roten Kreuzes. Da die Anschläge sich abends ereignet hatten, war die Zahl der Opfer überraschend niedrig. Folglich gab es in dem Beitrag noch einmal eine Rückblende zu den dramatischeren Ereignissen in Bagdad. Sechs Stunden vor den Anschlägen in Basra war in der Hauptstadt ein mit
fünfunddreißig Kilo HMX beladener Laster in einen Checkpoint am Rande der Grünen Zone gerast. Siebzehn Menschen waren ums Leben gekommen, darunter fünf amerikanische Soldaten. Einer von ihnen war ein Captain der 1st Marine Expeditionary Force.
Der Nachrichtenmoderator wandte sich einem anderen Thema zu, und Kealey ließ noch einmal die Ereignisse der letzten Wochen Revue passieren. Es fiel schwer, eine Logik hinter der jüngsten Eskalation der Gewalt zu erkennen, doch es schien, als bestünde ein Zusammenhang zu dem gescheiterten Bombenanschlag auf den irakischen Premierminister und dem Mord an Nasir Tabrizi in Paris. Durch ihre Macht und ihren Einfluss waren beide Politiker automatisch gefährdet, doch es galt noch etwas zu bedenken. Al-Maliki und Tabrizi gehörten unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften an. Ersterer war Schiit, Letzterer Sunnit. Nach dem Anschlag auf das Babylon Hotel hatte die von Schiiten kontrollierte Mahdi Army die sunnitischen Aufständischen öffentlich beschuldigt, hinter dem Mordversuch zu stehen. Folglich schienen sich während der nächsten Wochen die Anschläge primär gegen sunnitische Gebetsstätten und Geschäfte gerichtet zu haben. Aber nach Tabrizis Tod hatte hauptsächlich die andere Seite unter der Gewalt gelitten. Trotz der Entdeckung, dass Tabrizis Mörder iranische Staatsbürger waren, wurden meistens schiitische Moscheen zum Ziel der Anschläge.
Angesichts der gegenwärtigen Situation konnte Kealey nicht erkennen, dass sich am
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