Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Attentäter - The Assassin

Der Attentäter - The Assassin

Titel: Der Attentäter - The Assassin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Britton
Vom Netzwerk:
gefunden hatte, zusammen mit seinem FBI-Ausweis, rannte er in Richtung Ausgang. Keine Minute später hatte er das Tor geöffnet und bog auf die West 37th Street ab, Richtung Eighth Avenue. Er beschleunigte sofort, mit der Hand auf der Hupe. In seiner Eile war ihm nicht aufgefallen, dass ihn aus einem auf dem Parkplatz auf der anderen Straßenseite abgestellten Sable ein Mann beobachtete, in dessen Miene sich Wut und Neugier mischten.
    Während Kealey in nördlicher Richtung zum Renaissance Hotel raste, überquerte Vanderveen die Straße und trat kurz darauf in das Lagerhaus. Er war gespannt, was ihn erwartete.

55
    New York City
    Amir Nazeri wischte sich den Schweiß von der Stirn und schaute dann auf seine Hände, die nur deshalb nicht zitterten, weil sie so krampfhaft das Lenkrad umklammerten. Ansonsten bebte sein ganzer Körper, und er wusste, dass mit Willenskraft nichts dagegen auszurichten war. Mit leerem Blick starrte er auf die vor ihm fahrenden Autos, dann auf die Menge auf dem Bürgersteig. Er fragte sich, was diese Menschen denken würden, wenn sie gewusst hätten, was ihm durch den Kopf ging. Würde ihn einer verstehen? Er glaubte nicht daran. Ihn hatte nur ein Mensch jemals wirklich verstanden, und er war tot, ermordet von einer Strafverfolgungsbehörde des Landes, das ihn aufgenommen und ihm die Chance gegeben hatte, ein wohlhabender Mann zu werden. Der Gedanke, dass Amerika mit einer Hand geben und mit der anderen nehmen konnte, war ihm so noch nie gekommen, aber er hätte sich früher auch nicht die Mühe gemacht, weiter darüber nachzudenken …
    Er hatte die westliche Hälfte des Theaterviertels hinter sich gelassen und stand jetzt an der Kreuzung der West 52nd Street und der Tenth Avenue. Schon vor einigen Minuten hatte er es versäumt, wie vorgesehen in die West 48th Street abzubiegen. Zunächst hatte er sich eingeredet, es hätte daran gelegen, dass er einen Streifenwagen gesehen hatte, doch dann war ihm an jeder nach Osten führenden Straße eine andere Entschuldigung eingefallen. Wenn er so weitermachte, würde er sein Ziel
nie erreichen, aber plötzlich war er sich gar nicht mehr sicher, ob er es überhaupt wollte.
    Wieder wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Als die Ampel auf Grün sprang, zögerte er, fuhr aber weiter geradeaus, statt nach rechts in die West 52nd Street abzubiegen. Er schüttelte unbewusst den Kopf, weil ihm unbegreiflich war, was mit ihm passierte. Als Erich Kohl ihm seinerzeit den Vorschlag gemacht hatte, schien alles nur allzu logisch zu sein. Mit dem Mord an Fatima Darabi hatte ihm Amerika den einzigen Menschen genommen, der ihm je etwas bedeutet hatte, und als er Einzelheiten erfuhr, war seine Verbitterung ins Unermessliche gewachsen. Seitdem hatte sich nichts geändert, warum zögerte er jetzt? Warum schaffte er es nicht, nach rechts abzubiegen?
    Plötzlich überkam ihn ein Gefühl tiefer Scham. Wie konnte er so schwach sein? Noch immer wusste er nicht genau, was Fatima für die Mullahs in Teheran getan hatte, aber ihm war klar, dass sie in die Vereinigten Staaten gekommen war, um dort für ihr Land ihr Leben zu riskieren. Für das, woran sie glaubte, hatte sie alles geopfert. Er teilte ihre Einstellung nicht, respektierte sie aber. Vor allem bewunderte er ihren Mut. Sie hatte eine Stärke und innere Entschlossenheit besessen, die für ihn unerreichbar war. Nun war sie tot, und es war an ihm, seinerseits Stärke zu zeigen. Wenn er sich ihrer jetzt nicht würdig erwies, würde er nie wieder die Chance bekommen, ihren Tod zu rächen.
    Mit diesem Gedanken tauchte vor seinem inneren Auge ihr Bild auf. Er sah sie als zehnjähriges Mädchen, das lächelnd in einem der Brunnen vor der Scheich-Lotfallah-Moschee in Teheran planschte.
    Es war die schönste Erinnerung seines Lebens.
    Hinter ihm ertönten Hupen, und er wurde abrupt aus seinen
Gedanken gerissen. Er wünschte sich nichts mehr, als in diese Zeit zurückkehren zu können, eine Zeit, als alles möglich schien. Eine Zeit, als sie noch die Chance hatten, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Er fühlte etwas Warmes auf seinen Wangen und bemerkte, dass er weinte.
    Als die Ampel an der West 56th Street auf Grün sprang, bog er nach rechts ab. Noch immer konnte er das Hotel in knapp fünf Minuten erreichen, und nun wusste er genau, was er tun musste.
    Alle Zweifel waren verschwunden.
     
    Im Büro des Lagerhauses saß Naomi Kharmai noch immer auf dem Betonboden, geistesabwesend, ganz von bedrückenden Gedanken und

Weitere Kostenlose Bücher