Der Attentäter - The Assassin
wäre. Auf der 51st Street sprang die Ampel auf Grün, der Isuzu fuhr los. Wegen der grellen Sonne kniff er die Augen zusammen, konnte den Mann am Steuer aber nicht erkennen.
»Ryan?« Ihre Stimme erfüllte ihn mit Angst und Verzweiflung. Sie wirkte völlig verängstigt, zugleich aber auf eine seltsame Weise entschlossen. »Mach dir um mich keine Gedanken. Sorg einfach dafür, dass die Bombe nicht explodiert, okay?«
Sie hatte so schnell wie möglich gesprochen, wurde aber prompt durch die nächste Ohrfeige zum Verstummen gebracht. Sofort war wieder Vanderveen dran. »Siehst du? Ich bin ein Mann, den man beim Wort nehmen kann. Du bist kein besonders guter Frauenbeschützer, was?« Sein Tonfall lag irgendwo zwischen Belustigung und blankem Hohn. »Hätte ich eben nicht anderweitig zu tun gehabt, hätte dich in dem Lagerhaus eine kleine Überraschung erwartet. Ich hätte ihr mit dem
Messer eine Botschaft ins Gesicht geritzt. Aber wie’s aussieht, lässt sich das nachholen.«
»Arschloch«, stieß Kealey hervor, den Blick weiter auf den Isuzu heftend, der jetzt schnell näher kam. Von Polizisten war immer noch nichts zu sehen, vielleicht waren sie in der Menge untergetaucht. »Ich schwöre bei Gott, wenn du ihr nur ein Haar krümmst …«
»Du musst die Bombe einfach nur explodieren lassen«, sagte Vanderveen in einem tiefen, seltsam hypnotischen Ton. »Lass sie hochgehen, damit sie ihren Zweck erfüllt. Falls du es verhinderst, wird sie den schlimmsten nur denkbaren Tod erleiden. Wie Katie.«
Kealey schloss verzweifelt die Augen. Sofort tauchte vor seinem geistigen Auge wieder das Bild auf. Katie, auf dem Küchenboden liegend, aus der Wunde am Hals blutend, mit verängstigten Blicken um Hilfe flehend. Der bloße Gedanke, Naomi könnte das gleiche Schicksal erleiden, war zu viel für ihn, aber er konnte nichts tun. Vanderveen würde sie sowieso töten. Außerdem durfte er ihrem Leben keine Priorität einräumen vor dem Tausender unschuldiger Menschen in den umliegenden Gebäuden. Er hatte schon zu viel riskiert, als er sich in dem Lagerhaus die Zeit genommen hatte, die Fingerabdrücke abzuwischen und Fosters Leiche umzudrehen. Jetzt konnte er nichts mehr für sie tun, er musste ihre Worte Lügen strafen.
Du hast mich nie im Stich gelassen, und ich weiß, dass du es nie tun wirst. Ich vertraue dir völlig.
Offenbar wartete Vanderveen auf eine Antwort. Er atmete tief durch und traf die schwerste Entscheidung seines Lebens.
Er unterbrach die Verbindung und klappte das Handy zu.
Dann zog er die Beretta und ließ sie so lange wie möglich unauffällig an seiner Seite herabhängen. Als er auf die Seventh
Avenue trat, entging er nur knapp einem Bus. Ein kühler Luftzug traf ihn, und nach ein paar weiteren Schritten stand er auf der zweiten Spur. Der Isuzu war schon sehr nah, er konnte das verschwitzte, aufgeregte Gesicht des Fahrers erkennen. Das war sein Mann. Um ihn herum quietschende Reifen, lautes Hupen, schreiende Passanten, aber er blendete alles aus. Er hob mit beiden Händen die Beretta, nahm den Mann hinter dem Steuer des Isuzu ins Visier und drückte ab.
Auf dem Beifahrersitz des roten Mercury Sable blickte Naomi Kharmai auf ihre geballten Fäuste, zugleich bemüht, den stechenden Schmerz in ihrer linken Wange zu ignorieren. Sie war immer noch gefesselt; als er sie vor ein paar Minuten in das Auto stieß, hatte Vanderveen einen Pullover über die Handschellen geworfen, damit man sie von draußen nicht sah. Ihr war schwindlig von den drei harten Ohrfeigen, die er ihr gerade verpasst hatte, und spürte den Geschmack von Blut in ihrem Mund. Zweimal hatte er zugeschlagen, als sie am Telefon mit Ryan sprach, danach ein drittes Mal. Aus reiner Verärgerung, wie sie vermutete. Glücklicherweise war der letzte Schlag nicht ganz so brutal ausgefallen, aber sie glaubte trotzdem, dass etwas Blut an ihrem Ohr herabrann, und als sie auf ihren weißen Pullover blickte, sah sie tatsächlich ein paar rote Flecken.
Nach dem Abbruch des Telefonats durch Ryan hatte Vanderveen das Handy vor ihre Füße geschleudert und ohne Unterlass geflucht. Sie wagte nicht, ihn anzublicken, weil sie befürchtete, erneut unter einem Wutausbruch leiden zu müssen. Er hielt eine Glock 19 in der Linken. Kurzzeitig hatte sie erwogen, die Tür aufzustoßen und aus dem Auto zu springen, doch ihr war bewusst, dass sie nicht schnell genug sein würde. Vermutlich würde die Kugel durch ihren Magen schlagen,
was mit fast hundertprozentiger
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