Der Attentäter - The Assassin
Händewaschen in den Spiegel. Das Gesicht, das er dort sah, befriedigte ihn, auch wenn es nicht sein eigenes war. Jetzt spielte er die Rolle eines Nicolas Valéry, seines Zeichens Professor für griechische Literatur an der Sorbonne. Das braune Haar war kurz geschnitten und angegraut, wie auch der Dreitagebart. Seine grünen Augen wirkten durch klare Kontaktlinsen etwas anders. Er trug eine Nickelbrille, ein braunes Kordsakko, verwaschene Jeans und Wildlederschuhe - das Outfit eines in die Jahre gekommen Akademikers, das ihm gut stand. Auf den Einfall mit dem Altertumswissenschaftler war er nicht zufällig gekommen; wenn es sein musste, konnte er stundenlang über Heraklit oder Homers Ilias diskutieren, aber er bezweifelte, dass ihn jemand danach fragen würde.
Er trat aus dem Hauptgebäude in die kühle Abendluft und stellte sich an der Schlange am Taxistand an. Lange warten musste er nicht, aber er verfluchte sein Glück sofort, als er auf
der Rückbank des Renault saß. Der Fahrer stank nach Schnaps. Als er seine Jacke auszog und sie neben sich legte, erhaschte er im Rückspiegel einen Blick auf die glasigen Augen seines Chauffeurs. Der Wagen setzte sich in Bewegung, und bald fuhren sie in südlicher Richtung auf der A1 in Richtung Zentrum.
Zehn Minuten vergingen in einem etwas unbehaglichen Schweigen. Obwohl kaum Verkehr herrschte, gab der Fahrer viel zu viel Gas und jagte mit quietschenden Reifen durch sanfte Kurven. Bei einem weiteren Blick in den Rückspiegel sah er die Schweißperlen auf der Stirn des Mannes, die Nase mit den geplatzten Äderchen über dem ungepflegten Bart … untrügliche Anzeichen für langjährigen Alkoholismus. Er dachte an die vielen Geldscheine in seinen gefälschten Pässen, blickte auf die Uhr und fällte eine Entscheidung.
»Monsieur Grenet?«
»Ja?« Die blutunterlaufenen Augen blickten in den Rückspiegel, um den Fahrgast zu studieren. Der Mann schien verunsichert. »Woher wissen Sie …?«
»Steht auf dem Schild am Armaturenbrett«, sagte Vanderveen auf Französisch, die nicht beendete Frage des Chauffeurs beantwortend.
»Ach ja, natürlich.« Er warf einen Blick auf das Schild, wo unter seinem Namen die Nummer des Taxis stand. »Pardon. Sie hatten eine Frage?«
»Wann ist Ihre Schicht zu Ende?«
»Sie hat gerade erst begonnen.« Der Fahrer wischte sich mit einem verdreckten Jackenärmel den Schweiß von der Stirn. »Um sechs Uhr morgens.«
Das klang, als wäre er zum Tode verurteilt worden. Vanderveen beugte sich vor und roch die Fahne des Mannes. »Zweifellos gibt es Dinge, die Sie lieber tun würden«, murmelte er.
»Nördlich des Pont Neuf sind etliche gute Bars. Ich bin sicher, Sie kennen sie gut.«
Der Fahrer zögerte. Er schien nicht zu wissen, worauf das hinauslief, wollte aber nicht widersprechen. Irgendetwas an seinem Fahrgast ängstigte ihn mehr als die zehn Stunden ohne Drink, die jetzt vor ihm lagen. Die Worte des Mannes waren offen respektlos. Er hätte ihn darauf ansprechen sollen, brachte aber nicht den Mut auf.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Grenet.«
In der Einsatzzentrale an der Duke Street in Alexandria wuchs die Spannung langsam, aber unaufhaltbar. Die meisten der jungen FBI-Beamten waren nach draußen geschickt worden, damit der Funkverkehr verständlich blieb, was bei so vielen hektischen Gesprächen ohnehin ein Problem war. Als Outsider, deren Anwesenheit gerade geduldet wurde, standen Jonathan Harper und Ryan Kealey etwas abseits. Kealey hatte nichts dagegen, denn er wollte nichts damit zu tun haben, was gleich passieren würde.
Von seinem Platz aus sah er kaum mehr als den glänzenden Kahlkopf von Dennis Quine, der das Washingtoner SWAT-Team befehligte. Eigentlich war sein Job schon beendet. In dem Moment, wo seine Männer sich nicht mehr versteckt hielten und ihre Deckung verließen, ging das Kommando auf die Leiter der Einsatztrupps vor Ort über.
»Einsatzzentrale, hier ist Alpha One. Wir haben Position bezogen. Warten auf Erlaubnis zum Vorrücken, over.«
In dem Raum auf der anderen Straßenseite wurde es schlagartig still. Quine justierte sein Mikrofon. »Hier Einsatzzentrale, Alpha One. Habe verstanden, dass ihr startklar seid … Wie sieht’s bei euch aus, Bravo One?«
Ein kurzer Schwall von Störgeräuschen, dann: »Einsatzzentrale, hier Bravo One. Wir können loslegen, over.«
»Verstanden, haltet euch bereit.«
Quine fuhr sich mit einer zittrigen Hand über den glänzenden Schädel und schaute sich um. »Wie
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