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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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gestatten, sich aus
individueller Selbstsucht zum Einheitsgefühl zu erheben. Wir sehen am erhabenen Beispiel Leonardos, wie dessen milde
Güte nur aus Ehrfurcht vor der schönen Gottbeseelung des Alls entsprang und sich mit bitterster Menschenfremdheit
vertrug: »Die große Liebe zu Gott kommt nur vom großen Wissen. Wer wenig weiß, liebt auch wenig,
Liebe ist Tochter der Erkenntnis und ist um so heißer, je klarer die Erkenntnis.« Der große Ahner wahrer,
d.h. transzendentaler Naturgesetze sprach zum andern Mal: »Wie das Echo Spiegelung des Schalls, so ist Spiegelung Echo
des Lichts.« So geniale Formulierung der Schall- und Lichtwellen des Äthers als einer ewigen Einheit schöpft
aus Anschauung des Unendlichen die gleiche Inbrunst der Verehrung wie der Wilde, der im Donner die Stimme eines Unsichtbaren
hört und nicht fordert, der müsse sich sichtbar mit Visitenkarte und polizeilicher Anmeldung vorstellen. Wohl
kannte Leonardo alle physikalischen Ursachen, doch verkannte nie hinter den Phänomenen Blitz und Donner den
»Höchsten«. »Alles ist einzig Dein Wille.«
    Trotz früherer Widersprüche, wo Leonardos Abscheu vor Kirchenschwatz in starre Mechanistik zu entgleisen
scheint, begrüßen wir ihn gerade als Bundesgenossen. Diesen Mechaniker ohnegleichen, der in die Unendlichkeit
konstruierend eindrang, möchte Chamberlains Kantbuch als Gegenfüßler des unendlichkeitstrunkenen Giordano
ausspielen. Diesen Weltanatomen, der in Planet, Mensch, Tier, Pflanze das gleiche Strukturgesetz suchte, möchte
entgötterter Aufkläricht als Stammvater materialistischer Scholastik ansprechen. Denn man fälscht sich
große Männer so zurecht, wie es für eigene Zwecke paßt. Doch schriebe er heute seine zahllosen
Aphorismen und Parabeln, so hätte er uns beißenden Spott über sogenannte Mechanistik hinterlassen. Umarmte da
einer mit Tränen der Rührung ein Auto und pries dessen Weisheit und Schönheit, doch ein Schuljunge rief ihm
ins Gedächtnis, daß Automaten einen Erbauer haben und solch Halleluja sich an falsche Adresse richte. Wer ruhig
prüfend »Kraft« geistig und unsichtbar nannte, weil ihre Anwendung das Körpergewicht nicht ändere,
wer An- und Abprall, Einfall- und Ausfallwinkel für das nämliche erklärte, wer trocken aussprach: »Mit
Zerstörung des Körpers wird die Seele nicht zerstört, sie haust in ihm nur so wie Wind in Orgelpfeifen«,
der verwechselte wahrlich nicht Wirkung und Ursache. Ihm entrang sich der Aufschrei begeisterter Gottliebe: »O Deine
wunderbare Gerechtigkeit, Du Urheber der ersten Bewegung! O Deine göttliche Notwendigkeit! Die äußere
Notwendigkeit der Natur entspricht der innern Notwendigkeit der Vernunft. Alles ist vernünftig, denn es ist
notwendig.« Diese göttliche Gerechtigkeit, welche zugleich äußere und innere Notwendigkeit ist, diese
Einheit beseelter Materie und materialisierter Seele, dies »Oben ist Unten, Unten ist Oben« hat als Odem der
Unendlichkeit vom untersten Wilden bis zum obersten Weisen die Religion im Menschen geboren. Der Urmensch sah und fühlte
um sich her Unendlichkeit »Gott«, fühlte psychisch unendliche Ausdehnung »Unsterblichkeit«,
folgerte daraus Notwendigkeit des »Guten«. letzteres, obwohl bei Gutartigen auch gefühlsmäßig
erfaßt, bedeutet also nur eine spätere Vernunftverpflichtung, dagegen die zwei Unendlichkeitsgefühle eine
zwar nicht apriorische, aber erste Empfindungswahrnehmung, auf ihr allein beruht der Ursprung der Religion.
     

7. Von Buddha zu Jesus.
     
     
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    Man kann den Hamletsatz über Gut und Bös erweitern: an sich ist nichts Psyche oder Materie, das Denken macht es
erst dazu. Wohl schreit nur der Niedrige: Es lebe das Leben! Doch das Leben verachten heißt nicht es verstehen. Obwohl
Buddha das Heil der Ruhe verbürgt, scheint keineswegs sicher, ob dies für alle Temperamente die einzige Heilung
sei. Dann würde auch alle Kunst ungeschehen bleiben, die so vielen Erhöhung und teilweise Erlösung brachte.
Vielleicht fuhren nicht viele Wege nach Rom, doch jedenfalls wird es nicht an einem Tage erbaut und nicht durch eine einzige
Bresche mit Sturm genommen. Einseitigkeit ist der Fluch aller Religionen und auch aller Philosophien. Sie legen Pflaster auf
die Wunden, wobei Apotheker sich um Vorrang der Rezepte streiten, doch stellen nie die Diagnose, ob Wunden und Geschwüre
nicht dazu dienen, das schlechte Blut herauszulassen. Bei bloßer Repression schlägt der Krankheitsstoff erst

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