Der Aufgang Des Abendlandes
Dies
Nichtsein ist also ganz verschieden von dem, was viele seiner Interpreten meinen.
Gewiß unterschreibt man: »Ohne zureichenden Grund entsteht kein Bewußtsein«, es entsteht durch die
Dinge und vergeht nach Entziehung dieser Nahrung. Wir formulieren sogar schärfer: Andere Dinge anderes Bewußtsein,
anderes Bewußtsein andere Dinge! Doch damit klopft Buddha immer wieder aufs Ich los, läßt aber
Vedantaunsterblichkeit bestehen, betont die Allmacht des Psychischen durch folgende Deutlichkeit: »Wie entsteht
Körperleben? Wenn drei sich vereinen«, denn »sind Vater und Mutter vereint, doch der Genius ist nicht
bereit, so entsteht es nicht«, nur die Psyche schafft also Geburt. Wir begrüßen dies besonders, weil es mit
einem Hieb den gordischen Knoten der tausend Vererbungswidersprüche durchhaut. Buddha erklärt also
ausdrücklich, daß das Psychische transzendent und nicht an Stoff gebunden sei, solange es sich nicht in
kerkerhaftes Ich begibt. Man begegnet bei ihm auch Geistern, »33 Göttern« und allerlei Spukgestalten, deren
Symbolik sich allzusehr verbirgt. Klar steht in den »Brahminen von Sela«, daß die Guten nach dem Tod zur
himmlischen Welt eingehen. Der Böse denkt: Es gibt nicht Vergeltung guter und böser Werke, Dies- und Jenseits sind
leere Begriffe, der Gerechte aber erhält die Wiedergeburt, wie er sie wünscht, und schon diesseits
Wahnerlösung. Ferner heißt es: »Was man fühlt, nimmt man wahr, was man wahrnimmt, dessen ist man
bewußt.« Das ist tiefer, als es scheint: Gefühl als Ursache, nicht Folge der Wahrnehmung. Noch bedeutender
ausgedrückt: »Wodurch besteht Lebenskraft? Durch Wärme, wodurch besteht Wärme? durch Lebenskraft.«
Diese aber ist nicht identisch mit dem Intelligibeln, Wahrnehmbarkeitstäuschung wird erst vernichtet, wenn man beides
als verschieden erkennt, d. h. Psyche unabhängig von Lebenskraft. Gier, Haß, Irrtum erzeugen die Vorstellungen,
mit ersteren schwinden letztere. Die fünf Elemente des Lebenstriebs bilden die Persönlichkeit, deren Fortdauer nur
möglich wäre, wenn jene selber das intelligible Selbst wären. Sehr wahr, doch gerade letzteres heißt uns
Persönlichkeit; was Buddha meint, ist nur die belanglose Person. Vernichtung der Wahrnehmbarkeit löst zuerst
sprachliche, dann körperliche, zuletzt geistige Unterscheidung, dagegen bringt ihre Wiederherstellung zuerst Geistiges,
dann Körperliches, dann Sprachliches. Dieser umgekehrte Werdegang entspricht jeder wahren Biologie. Wenn man sich
sträubt, geistige Wahrnehmung des Säuglings an die Spitze zu stellen, so beobachtet man doch das nämliche auf
untersten Lebestufen, wo deutlich Orientierungswunsch den Tastversuchen voraufgeht. »Aus dem freudigen folgt das
leidige, aus dem leidigen das freudige Gefühl«, doch es gibt dauernde Freude ohne Gier, nämlich Weihe der
Betrachtung, Leid ohne Haß, nämlich Sehnsucht nach Wahnverlöschung. Und was folgt aus letzterer?
»Laß die Frage, ich kann den Begriff nicht fassen«, antwortet die weise Nonne, denn Unaussprechliches darf
nicht besprochen werden. Deshalb ist irrtümlich, daß Buddhismus ohne Gott auskomme, Buddha verbietet nur
Spekulation darüber, weil das Endliche nicht begrifflich, geschweige denn sprachlich das Unendliche erfassen könne.
Darum verschweigt er auch, woher die transzendentale Psyche stamme, und legt die Frage nicht vor, warum Ich und Materie da
sind, da er zweckmäßige Allordnung keineswegs verneint. Erst modernste Wissenschaft behielt sich die Entdeckung
vor, daß Natur nur grausam und zufallmäßig handle, vieles zu Schaden der Lebewesen einrichte. Das
möchte sein, da etwas Teuflisches in der Materie steckt und man vom menschlichen Standpunkt nicht mit einer besten aller
Welten zu tun hat, sofern man sich an sichtbare hält. Das hebt nicht auf, daß kritische Rügen an die Natur
sich an falsche Adressen wenden. Denn was schadenfrohes Übelstiften übt, kann nicht gleich sein mit angeblich
automatisch mechanistisch arbeitender Natur, die doch keine plötzlichen Launen und Seitensprünge kennen kann,
übrigens im allgemeinen doch wirklich prästabilierte Harmonie im Weltraum zu besorgen scheint. Was also teuflisch
eingreift, ist etwas Unsichtbares und über dessen Absichten steht uns kein Urteil zu. Vielleicht lacht man in
höheren Sphären (die Spirits des Reverend Owen tun es) über menschliche Dreistigkeit, die sich einbildet, was
ihr nicht paßt, sei deshalb nicht zweckdienlich.
Auch
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