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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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und Werk) die Menschheit belehrt, nicht die kirchliche
einer einmaligen »heiligen Schrift«. Eigentümlich ist allen Genialen die innere Ehrfurcht vor der
unsichtbaren höheren Macht und das reuevolle Leid über jeden Abfall vom höheren Selbst. »Ich weiß,
daß ich einstmals in der Gnade war«, seufzte der sterbende Cromwell und betete; alles Gute, was er tat, möge
England, und alle Ichsünden nur ihm selber angerechnet werden. Von Napoleon rannen alle Atheistenscherze der Laplace und
Monge ab wie von einem Regenmantel, sein Glaube an »Gott« und Unsterblichkeit war eine Gewißheit, er kannte
das »Schicksal« (Karma) aus innerster Erfahrung. [Fußnote]Wenn die Unterhaltungen mit Gourgaud gelegentlich
eine mechanistische Note anschlagen, so wollte er offenbar die querköpfige Rechthaberei des kirchlich-frommen Generals
necken, der übrigens kein ganz zuverlässiger Gewährsmann ist. Sind nun alle Großen die geborenen
Antimaterialisten und stimmen sie alle in Anerkennung eines Allgotts und Ahnung eines ewigen Lebens überein, so
müßte dies für den dumpf und stumpf am Boden klebenden Alltagsmenschen um so beweiskräftiger sein, als
das Element, aus dem allein Größe und ethische Erkenntnis stammen, nicht alleiniger Besitz von Auserwählten,
sondern Erbgut alles Lebens ist: Das subliminale Selbst. Denn was beim Genie als Schöpferfunktion, das tritt beim
Minderbegabten als Telepathie auf, und es bedarf keiner Erklärung, daß Ähnliches, sei es noch so
abgeschwächt, notwendig in jedem Menschen verborgen vorhanden als Grundgesetz jedes Lebens. Daher steht jedem offen, im
Lauf der Äonen allmählich vom Karma der Wiedergeburten zu gleicher Höhe heraufgezüchtet zu werden. Den
Anstoß zu solchem Freiwerden des Unbewußten kann nur Erkenntnis geben, daher bleibt von äußerster
Wichtigkeit, was der Mensch wirklich glaubt. Nichts kann er wirklich glauben, was der »Vernunft« (wie man klaren
Verstand zu nennen pflegt) widerstrebt, also weder kirchliche Märchen noch mechanistischen Aberglauben. Wäre der
von Zweidrittel der Menschheit seit ältesten Zeiten als einzig vernünftig, wahrscheinlich und möglich erkannte
Karmaglaube nur ein subjektives Wünschen, ein künstliches Zwecksetzen, eine täuschende Halbwahrheit, so
müßten wir ihn dennoch predigen, weil er für uns so nützlich ist als Verständnisbringer und Ordner
sonst unbegreiflicher Rätsel. Denn gerade er beruht auf dem einzig sichern Fundament, dem mit dem Leben selbst geborenen
Begriff und Gefühl des Unendlichen. An allem dürfen wir zweifeln, nur nicht an dieser Gewißheit, welche
zugleich eine Ewigkeit der Kausalität von selber aufrollt. Aus dieser Anfangsempfindung des Unendlichen erwächst
natürlich nicht das »Gute«. Das für uns Gute, animalische Bedürfnisse, wie der Säugling nach
der Mutterbrust schreit, ist nur unbewußter Instinkt der Selbsterhaltung und darf nicht mit irgendwie sittlich Gutem
verwechselt werden, das keineswegs für »uns«, d. h. das gemeine Ich nützlich scheint. Sondern die
nächste Folgerung des Kindes und Wilden konnte nur sein, daß es außer irdischen Eltern und Vorgesetzten
einen Regenten der Unendlichkeit gebe.
    In Christi Doppelgebot »liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst« wird das Zweite
aus dem Ersten abgeleitet, so daß statt »und« stehen sollte » deshalb«. Denn ohne diese
Voraussetzung wäre jede Menschenliebe sinnlos und hat falsch verstanden zu verschiedensten unsinnigen Schwärmereien
geführt, sei es durch ehrliches »praktisches« Christentum, sei es umgekehrt durch Humanismus einer
phantastischen Menschenliebe. Denn wer sich nur um des Menschen und der Menschheit willen opfert, ist ein Narr, der zugleich
Christi Meinung übertreibt. » Wie dich selbst« heißt nicht mehr als dich selbst, was der Fall sein
muß, wenn man das eigene einem fremden Interesse zum Opfer bringt, d. h. den fremden Egoismus füttert auf Kosten
des eigenen. Wie durchaus unverdient solches Opfer ist, zeigt nicht nur die allgemeine Erfahrung »Undank ist der Welt
Lohn«, sondern die besondere, daß jeder Leidende, der mal zufällig auf opferwilliges Mitleid
stößt, sich sofort rücksichtslos daran festklammert wie der Ertrinkende an seinen Retter und den Edlen
ausnutzt, als sei dies sein gutes Recht. Die »Armen« sind mitleidigen »Reichen« gegenüber die
größten Egoisten in ihrer Denkart. Und die »Menschheit« als Kollektivbegriff hat noch stets

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