Der Aufgang Des Abendlandes
recht
nach innen. Unterdrückt nicht vielleicht Buddhas Beruhigungssalbe den richtigen Ablauf des Fiebers, mit dem die Natur
sich selber hilft? In der Lebensinfluenza sollte man sich das Gesundheitsprinzip vorhalten, daß zuletzt doch jedem
wird, was ihm angemessen, wenn er sein Leiden nur mit geduldigem Mut durchleuchtet. Wenn das Leben sein eigenes Gleichgewicht
in sich trägt, wo bleibt der Wert gewaltsamen Verneinungseingriffs? Ist der Lebensquell sichtbar oder unsichtbar? Ist er
letzteres, was Buddha bejaht, wie kann man verneinen, was sich der Wahrnehmung entzieht! Man lege sich lieber die Frage vor,
warum die sogenannte Natur, eine Riesendame, die noch niemand bei der Toilette belauschte, alles Stoffliche sichtbar, alles
Psychische unsichtbar machte bis zur untersten Fraßwahl einer Amöbe. Da Helmholtz alle Wahrnehmung symbolisch
nennt, wird es bei den zwei Hauptbegriffen, auf welche jede wirkliche Erkenntnistheorie einschrumpft, »sichtbar und
unsichtbar«, wohl seine besondere symbolische Bewandtnis haben. Dies als Dualismus auffassen, bedeutet den
Grunddenkfehler, jeder echte Transzendentalist kann gar nicht anders als monistisch denken, und es gehört zum Gewebe
menschlicher Verworrenheit, daß der Erkenntnismonismus heute zum Beiwort plumpster Unerkenntnis wurde.
Zarathustra hätte sich über den Niezky empört, der seinen Namen borgte, um für seine polnische
Wirtschaft die alte Kampflehre, die auch in Götterdämmerung der Germanen ihren Auftakt fand, in
äußerliche Machtformeln umzuprägen, wobei nicht Ormuz, sondern Ariman contra Ariman streiten würden.
Laut Zoroaster ist aber kein Ariman ohne Ormuz, kein Ormuz ohne seinen Widerpart, die finstern Mächte. Kampf auf der
Grenzscheide von Hell und Dunkel ist ein der Psyche immanentes Stadium, das sie durchmachen muß, wie das Atmen auf der
Erdebene Oxigen braucht. Anders atmet man im Unendlichen, dessen erster Formulierer Anaximenes es als Ursache eines rein
stofflich gedachten Allraums ausgab. Doch als Ursprungskraft könnte es nur überstofflich, sonst nur Qualität
des Allstoffs sein. Wir aber erkennen hier weder Qualität noch Überkraft, sondern lediglich eine spirituelle Idee,
die zwar unendliche Gedankenreihen, doch nichts Stoffliches auslöst: ein Attribut des Allbegriffs, der an sich auch
keine stoffliche Grundlage hat, ohne den sich aber nicht übersinnlich denken und der sich ebensowenig beweisen
läßt wie alles Unsichtbare. Der Materialismus täte besser, eiligst dem totgesagten Gott auch den
gefährlichen Begriff All ins Dunkel der Unwissenschaftlichkeit nachzustoßen. Denn All schmeckt nicht nach
sichtbarer Natur, sondern nach etwas, von dem wir nur die Einflüsse voraussetzen. Das Unerkannte als unbekannte
Größe einzustellen, darf man aber so wenig verbieten wie Infusorienforschung, die ja früher unmöglich
schien, weil man das Teleskop fürs unendlich Große noch nicht als Mikroskop fürs unendlich Kleine verwendete.
Fürs unendlich Feine wird wohl kaum ein Instrument erfunden werden, und das unendlich Größte bleibt notwendig
unsichtbar, nur als sein symbolistischer Hampelmann agiert der Parallelismus von Hirn- und Körperbewegung.
Leonardo und Schulze gehen beide auf zwei Beinen, atmen durch die gleich konstruierte Lunge, üben vom Hirn aus
Muskelbewegung. Suchen wir also die fundamentale Verschiedenheit ihres eigenen Wesens, so stoßen wir nur auf
Unsichtbares. Der Maler sieht die Dinge malerisch, nicht weil er andere Augen hat, sondern ein anderes psychisches
Sehvermögen. Die Existenz jener kleinen Oberrasse genialer Menschen beruht auf Ursachen, deren Sichtbarwerden
unmöglich ist. »Jedes Menschen Glauben kommt aus dessen eigenem Wesen, jedes Wesens Wirken geht aus dessen eigener
Natur hervor« (Bagghavat Gita). Man glaubt, was der eigenen Psyche entspricht, man handelt, was die Karmaanlage
befiehlt. Die Lehre vom Karma der ewigen Vorbestimmung und Wiedergeburt ist daher die Urweisheit unverbildeten
hellgesichtigen Denkens, von den Vorahnen übernommen, deren Vorhandensein auf vergessenen Pfaden zu verschollenen
Tempeln Buddha ja ausdrücklich bestätigt. Damit sind aber den Fähigkeiten des Eigenwesens Grenzen gesetzt, und
sie anthroposophisch erweitern wollen, ist Selbstüberhebung. Gewiß ziemt Leonardo eine andere Haltung als Schulze,
wer sich als Teil der Weltseele fühlt, darf Demut nicht übertreiben, – »christliche Demut« ist
Schulzes Anmaßung, Leonardos durchaus
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