Der Aufgang Des Abendlandes
ist ein Mysterium. Nur der Mensch rollt immer wieder den Sisyphusstein bergan, er allein müßte
der Natur fluchen, geschweige einem Gott, der als schadenfroher Teufel dies zuläßt. Rationalismus preist die
Vernünftigkeit der Materie, wie konnte sie solche Unvernunft dulden! Welch albernes Ansinnen, von durchaus Unmoralischen
eine Moral zu verlangen ohne Glauben an Gott und Fortdauer oder beide Begriffe trennen zu wollen! Sie stehen und fallen
miteinander. Gibt es keinen Gott, so ist Gerechtigkeit und daher auch Fortdauer leerer Wahn. Wieso eine blinde Natur zu etwas
verpflichtet sein soll, wissen die Götter! Aus Fortdauer verwandelten Stoffs Fortdauer psychischer Kraft zu folgern,
wäre falsche Analogie, aus Sichtbarem Unsichtbares zu folgern, worüber der Natur keine Herrschaft zusteht.
Überzeugt man sich von Herrschaft des Unsichtbaren, so wird ein Weltbild ohne Gott unmöglich. Ist aber
Unsterblichkeit Wahn, so gibt es keinen Gott, der solchen Namen verdient. Möge man ihn noch so weit Menschenbegriffen
von Allbarmherzigkeit entrücken, ein Gott grausamer Unvernunft bleibt doch undenkbar. Wenn höchste Sittlichkeit in
hohen Menschen erwacht, darf man sich ein höchstes Wesen nur ähnlich vorstellen, ein solches aber ist wirklich
verpflichtet zu gerechter Vergeltung. Wer Dank für Wohltat verlangt, ist ein Lump, wer Dankbarkeit nicht fühlt, ein
größerer Lump: Je idealer das Sittliche auf Lohn verzichtet, desto mehr ist Lohn sittliche Notwendigkeit kausaler
Gerechtigkeit. Sittliches ohne Beharrung und Erfüllung wäre die Laune eines Betrunkenen. Wäre Menschenleben
ein Vergnügen, wozu diente solche Eintagsfliege, wer läßt sich solch ephemeres Theater zu seiner Belustigung
vorspielen? Da es aber ein grimmer Kampf ist, könnte nur ein Teufel die arme Psyche zwecklos in solch Wirrsal
stürzen, ihr Genugtuung verweigern. Geschähe dies trotzdem, wozu die ganze negative Posse? Ein dummer Gott ist noch
unvorstellbarer als ein ungerechter, nur ein Gott aber verbürgt Unsterblichkeit, von Pan verlange man nicht, was er
nicht leisten kann.
In Frankreich feierte Descartes (auf diesem Umweg auch Spinoza in L. Brunschwieg) seine Auferstehung, doch scheint
verworren, ihn mit Kant oder Einsteins Relativitätstheorie zu verbinden, sein Gott ist unangenehm nicht-relativ.
Descartes nahm zwei verschiedene Substanzen an, Geist und Materie, eine dritte (Gott) bringe sie erst in Zusammenhang. Es
gibt aber keine selbständigen Wesen nebeneinander, sie treten sogleich in Verhältnis der Begrenzung, eins hebt die
Selbständigkeit des andern auf.
Es gibt auch nicht gleich vollkommene Wesen, denn sind sie auch nur teilweise ungleich, so gehen des einen Eigenschaften
dem andern ab, sind sie aber gleich, so sind sie eins. So doziert Spinoza, doch wie kommt er zur Folgerung: Es gibt keine
verschiedenen Substanzen, sondern nur eine, Gott? Tötet es wirklich die Selbständigkeit einer Substanz, daß
ihre Begrenztheit sich an einer anderen reibt, wird Leonardos Individualsubstanz minder selbständig, weil sie
äußerlich in Verhältnis zu Zeitgenossen tritt? Als konkrete Substanzen kann man sich nur zweierlei
vorstellen: Individualpsychen oder Naturkräfte. Letztere treten äußerlich unterschiedlich auf wie erstere,
eine Gleichheit von Substanzen kommt äußerlich nie vor, gemeinsam ist nur die große Eigenschaft der Welt:
Bewegung. Jeder kann sich einen Geist vorstellen, der sich ohne Körper bewegt, nie einen Stoff, der sich ohne Kraft
bewegt. Die Behauptung, daß Kraft Eigenschaft des Stoffes sei, wäre ewig unbeweisbar, weil man bei jeder vom
Menschen geschaffenen Stofform das Gegenteil weiß, organisches Leben aber nichts über sich selber aussagt. Der
kabbalistische »Golem« bleibt bewegungslos, bis ihm der Lebenszauberspruch angehängt wird, und
zerfällt, sobald man ihm den Talisman entreißt. Daß der bestimmte Ichgeist an bestimmten Ichkörper
gebunden ist, selbst dies kann nur verklausuliert anerkannt werden, falls viele Phänomene dafür sprechen, daß
die Ichperson oder etwas ihr Ähnliches noch lange fortbesteht. Was an den Körper gebunden, ist eben einzig das Ich,
dessen Sinnen und Trachten selber körperlich ist, das den Körper antreibt, sich zu ernähren und
fortzupflanzen, welche Körperfunktionen aber kein organischer Körper selbst bei untersten Formen ohne psychischen
Anreiz vollziehen könnte. Wenn Schulze sein Leben lang nur an Geldverdienen in einer bestimmten Branche
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