Der Aufgang Des Abendlandes
Neuspinozismus sich mit
katholischer Ontologie (Gilson) anfreundet, scheint symptomatisch für Spinozas Verwandtschaft mit traditionellem
Dogmatismus.
Daß unsere Ausstellungen durchaus objektiv analysieren, dafür haben wir den Beweis, daß der radikalste
Spinozist Auerbach 1865 gesteht, das System sei »doch vielleicht nicht niet und nagelfest«. Beiläufig teilt
er mit, Gervinus sei jetzt dabei, die auch politisch stimmunggebende Kraft Byrons in den zwanziger Jahren darzustellen, er
selbst nennt an einer Stelle Byron mit Shakespeare und Goethe zusammen. Später aber ließ er im »Landhaus am
Rhein« die wüste Heldin sich aus »Kain«, was sie für das größte Werk aller Zeiten
hält, ihre Unsittlichkeit bestätigen und einen Arzt, der sich früher an Byron berauschte, ihn für Fusel
erklären. Dann hielt Auerbach einen Vortrag »über Versöhnungslosigkeit des Weltschmerzes«, was
sich doch nur auf seinen Intimus Lenau beziehen könnte. Nun wohl, Byron fand eine ganz andere Versöhnung als
Spinoza, indem er die große begnadete Psyche, wie Luzifer sie in Kain anredet, auf sich allein stellte, selbst Lenaus
Faust hat die tiefsten Probleme tiefer durchdacht als Spinoza. Wie der Sozialismus mechanische Soziologie und soziale
Mechanik voraussetzt, ohne zu beachten, daß nichts Individuelles sich mechanisieren läßt, so schließt
jede pantheistische Neigung die Augen vor der rein individuellen Bewegung aller Elemente und Wesen. Ohne das Karmagesetz der
Selbstbestimmung innerhalb der Notwendigkeit ist keine Gerechtigkeit möglich. Das Böse und das Übel
können keine abstrakte Ingredienz einer Gottsubstanz sein, sondern psychischer Kausalität als Abfall von
Einheit-in-Gott. So wenig wie Heraklit und Demokrit oder Lucrez und Haeckel kennen Plato, Bruno, Kant, Leibniz die leere
Formel Gottsubstanz, die Mechanistik mit schwärmerischem Brimborium überkleistert.
Aufklärung ist ein so kaltes Wort! Man könnte sagen, daß auch Luft keine Wärme hat, doch zum Atmen
nötiger als Sonne, aber das Gleichnis hinkt, denn ohne Sonne und Wärme kann Luft sich uns gar nicht vermitteln.
Geist kann als Stoff aufgefaßt werden wie Oxygen (Cliffords mindstuff), doch Oxygen ist unsichtbar, nur als Wirkung
empfunden wie Geist, dessen Schaffen oft erst posthume Produktion treibt. »Es gibt einen natürlichen Körper,
es gibt einen spirituellen Körper« (Paulus), wie kann man über letzteren etwas aussagen, solange man am
Sichtbaren klebt! Erst wenn man seine Schiffe hinter sich verbrennt an der Küste des Wahrnehmbaren, darf man sich als
Konquistador ins Ungewisse des Eldorado aufmachen.
Falschschreiber verabreden sich untereinander wie Falschmünzer, doch das Gewicht wird ausgefunden, sobald man es auf
die Wage legt. Hier ist nicht mal »honour among thieves«, Rationalisten verraten sich untereinander, indem die
einen zum Deismus, die andern zum Atheismus abschwenkten. Skepsis schläft den Schlaf des Ungerechten, weil sie Tatsachen
nicht sehen will, die zu ruhelosem Wachen auffordern. Exzerpierte Akten machen Taines Pamphlet gegen die Revolution nicht
induktiv wahrer als deduktive Sachfälschung der Legende. Wie Darwin und Wallace andeuten, hat die Natur sonderbare
Täuschungsfähigkeiten, die alle Lebewesen verwirren, man muß daher vorsichtig sein, scheinbare Naturbeweise
ernst zu nehmen. So gibt es z. B. eine Scheinschwindsucht, die nicht Tuberkulose ist und auf Ebben der Vitalität beruht,
daher durch Ausstrahlung fremder Vitalität beseitigt werden kann, wo äußere physische Einflüsse
versagen. Auch gottfremder Heroismus überwindet in sich selbst Zeitlich-Wirklichkeit, ist also ein lebendiger Beweis
für etwas dem Sinnenleben Fremdes. Den Gottbegriff fallen lassen und trotzdem wie Goethe die Natur für verpflichtet
halten, ihm ein neues Kleid zu geben? Die aus gärenden Verwesungsstoffen entstehenden Infusorien sind materiell das
gleiche Leben wie das Verweste, solcher Umsatz der Lebenswerte würde nichts Individuelles gewährleisten. Indessen
ist das Sichtbare nur ein an unsere Vorstellung gebundener sinnlicher Akt, während eine Welt des Unsichtbaren
allwärts auf uns eindringt. Wie käme in angeblich mechanische Naturharmonie eine »falsche Natur«
(Byron) als sinn- und zweckloser Selbstwiderspruch des Lebens hinein? Begönnert diese Natur nicht unablässig ihre
niederen Erdgeschöpfe von Schildkrötenschirmwänden bis zu Selbstlaternen submariner Tierchen? Schon der
Leuchtkäfer
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