Der Aufgang Des Abendlandes
Selbsterhaltung eigenen Wohls, dem Bösen macht Böses tun
Vergnügen, man sieht es an jedem Plutokraten, der jeden Armen grinsend übervorteilt, ohne etwas Wesentliches zu
gewinnen. Der abscheuliche Satz »je mehr man seinen Nutzen sucht, mit desto größerer Tugend ist man
begabt« macht es Dühring leicht, von Spinozas »schlechter Judenmoral« zu reden, doch sein eigener
Brunokult stimmt nicht zu seiner Überzeugung, um so mehr Brunos Persönlichkeit: so bestimmt eben nur
Individuellseelisches das wahre Wesen, nicht eine eingeschlagene Intellektrichtung, nicht der Mechanist war der wahre
Dühring, sondern der Brunojünger. Statt Spinozas leerer Modi der Substanz reichen für Bruno die Wurzeln der
Individualität bis unter das Zeitphänomen hinab ins Absolute. Er befruchtete zugleich Spinoza, Descartes, Leibniz,
jeder borgte aus seiner Universalintuition nur das ihm Zusagende. Sein Monismus rechtfertigte zeitlose Fortdauer, seine
Monade ist innere Form und äußerer Former, Zusammensetzung von innen nach außen, durchläuft ihr
Verhängnis ewiger Veränderung mit Endzweck des Absoluten der Allethik. Für Spinoza ist Reue geistige Ohnmacht,
für Hartmann schädlich, für Bruno Geburtswehe des Sittlichen. Wer fußt hier auf Wirklichkeit, die ja
stets vom Reuehasser Nietzsche verleugnet wird? Nur pathologisch belastete Gewohnheitsverbrecher kennen nicht Reue, einfaches
Reaktionsgesetz. Richard III. prahlt, Gewissen sei »schlau ausgesonnen als des Starken Hemmschuh«; doch
erfährt im Reuemonolog, daß hier nichts Fremdes, sondern das Ich selber reagiert. Denn sein eines
Zusammenhaltendes ist treue Erinnerung, untrüglichstes Merkmal einer starken Psyche. Deshalb wünscht Weininger
»theoretische Biographie«. Die mit Bruno Wissenschaft »per il loro dilletto« treiben, werden nie
Besoldung und Titel dafür einkaufen, daher mit Recht als Dilettanten behandelt, wie ja livreeprunkendes Bedientenpack
gegen unabhängige freie Arbeiter Hochnäsigkeit affektiert Das Geniale läßt sich nicht in muffige
Schulstuben einpferchen. Es bedarf keiner Biographie, ob Fachphilosophen eine neue Variante suchen: sage mir, wem du
anhängst, Bruno oder Spinoza, und ich werde dir sagen, wer du bist. »No one had a simple sensation by
itself« »to think is the only moral act« (W. James) sehr tief, das Moralische des Denkens als Notwendigkeit
ist Urkern der Psyche. Herbart meint: »Begierde und Gefühl sind nur die Arten, wie sich unsre Vorstellungen im
Bewußtsein finden«, doch diese Arten sind so verschieden wie das Bewußtsein selber. So sagt Pascal, je
origineller man sei, für desto origineller halte man die andern: deshalb begreift das Genie nicht, daß man es
nicht begreift. F. J. Schmidt, »Grundgesetze konstituiver Erfahrungsphilosophie«, 1901, nennt Psychologie
»die Wissenschaft von den konkreten Erfahrungsgesetzen des individuellen Bewußtseins«, doch woher
kümmerliche Erfahrung, da kein Bewußtsein sich selbst beobachtet?
Daß der Urmensch unabhängig von Gut und Bös war und erst die Gesellschaft ihm solche Begriffe beibrachte,
ist unwahr. Ein einsamer Wildling empfindet das Raubtier als bös und den harmlos zwitschernden Vogel als gut, daher alle
Vogelsagen, wo Vögel dem Menschen gut raten. Nun, der erste Mensch, der ein aus dem Nest gefallenes Junges mitleidig
aufhob und den Eltern zurückbrachte, empfand sich als gut; der erste, der es achtlos oder grausam zertrampelte, empfand
das Böse. Am Ausgang aller Wesen steht der Individualismus und weiter nichts. Diese unendlich verschiedenen Psychen
können nie gemeinsam »Freiheit« in »Einheit mit Gott« verspürt haben, sondern nur Eingebung
ihres verschiedenen Wesens, obschon Gute und Böse mit dem gleichen Magen verdauen. Gewiß entsteht alle
Begriffsabgrenzung durch Vergleich, Schön und Häßlich, Vollkommen und Unvollkommen, doch daß ein
Klumpfuß so schön sei wie ein Apollofuß, weil jedes Ding nur mit sich selbst verglichen werden dürfe,
ist Haarspalterei, nicht Logik. Dann müßte dies auch für den Vergleich Gott und Mensch gelten, wo der Mensch
überhaupt keinen konkreten Vergleich und, nichts als sich selbst vergleichend, keinen Idealbegriff Gott aufstellen
könnte. Freilich ist nicht Unvollkommenheit der Natur, daß der Ochse kein Adler ist, er freut sich seiner
grasenden Bestimmung und möchte nicht mit dem Adler tauschen, doch beide fühlen gewiß nicht gleiche Einheit
mit dem All, der eine hat eine
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