Der Aufgang Des Abendlandes
ihre Einzelteile von selber aus, höchstens ließe sich
Gottliebe so als Selbstliebe folgern, da ja das Gottganze in jedem Wesen enthalten sein soll. Offenbarer Denkfehler des
Pantheismus: Unendliche Substanz stellt sich als unendliche Verschiedenheit dar vom Wurm bis zur Sonne, vom Kretin bis zum
Genius, da soll höchste Ganzsubstanz in jedes Teilchen gebannt sein? Wenn ich huste, ist mein Auswurf mein stoffliches
Exkrement, aber nicht ich selber, jeder Pinselstrich und Meißelstich ist Emanation des Künstlers, doch er selbst
steht außer- und oberhalb. Da man Metaphysisches nur durch Gleichnis faßbar macht, scheint diese Logik
zulässig. Spinoza hätte sich gesträubt, daß man ihn allmählich auslegte wie Heine, Gott sei
abgesetzt und jeder Mensch in sich Gott, und doch führt seine mathematisch-kabbalistisch-talmudische Verzwicktheit,
durch die sich der Geduldigste schwer durcharbeitet, zu eigener Verschrobenheit. Daß Jud und Christ sich gegen seine
halb stoische, halb christliche Ethik auflehnten, war nicht mißverständlicher, als daß ein
»heidnischer« Pantheismus sich von ihm ableitete mit einer ihm fremden »romantischen« Ethik.
Er ist der unplastischste aller Denker, der Mangel des Semiten an schöpferischer Anschaulichkeit tritt zutage.
Dagegen deutet Dührings Vorurteil zu schadenfroh auf sein Bekenntnis hin, er habe nicht jede Regung von Habsucht oder
Sinnlichkeit unterdrücken können, das beweist nur bescheidene Ehrlichkeit, und welcher Ehrliche möchte nicht
Ähnliches bekennen! Freilich darf freundliche Stoa eines Schwindsüchtigen nicht als Tugendmuster verherrlicht
werden. Das spezifisch Jüdische seiner Philosophie steckt in Erkaltung jeder inspiratorischen Empfindung. Kommt man von
ihm zu Böhme, so fühlt man sich förmlich atembefreit, aus intellektueller Glasschleiferei in die warme
Werkstätte eines Lebensvollen einzutreten. Es wäre nicht recht, Brunos Bekennertod mit Spinozas beschaulicher
Passivität zu vergleichen, die alle Anerbietungen seiner Freunde Meyer und Oldenburg zu öffentlicher Propagierung
seiner Lehre abwies. Nicht Feigheit bewahrte ihn vor Martyrium, die Judenschaft hätte ihm gern Uriel Acostas Los
bereitet, er schied sich brav genug von seinen Stammesgenossen, was für einen Juden besonders schwer fällt.
Nichtsdestoweniger bleibt lehrreich, daß Bruno sich nach Opfertod sehnte, weil er als Arier das Heroische in den
Vordergrund stellte. Wenn er nicht entfernt Spinozas Einfluß erreichte, wenn ausgerechnet Goethe und Herder sich in
diese Spitzfindigkeit verliebten, die wesentlich auf Ain Soph der Kabbala zurückging, so erkennen wir hier den
Siegesrausch des Rationalismus. Obschon Spinoza schon mit 44 Jahren starb und die »Ethik« erst nachher im Druck
erschien, wurde er keineswegs »sekretiert«, man bewunderte ihn in England, sein Nachruhm setzte sofort ein,
historisch nicht unbegründet, er bleibt ein Bahnbrecher, der gewissermaßen transzendentalen Monismus vorahnte, was
aber in seinen Formeln keine Stütze findet bei seiner Unkenntnis des Unbewußten und der Individualpsyche. Seine
Verstandesschärfe darf man ohne Lieblosigkeit jenem Realismus beizählen, der auf Mechanistik lossteuert, auch bei
ihm plappert immer wieder »Vernunft« »auf vernunftgemäße Weise«, als ob sie über
Gottsubstanz etwas Positives aussagen könnte. Unsere eigene Anschauung hat nichts dawider, daß Geist und Materie
nur verschiedene Ausdrucksweisen einer Substanz, doch daß sie einander nicht begrenzen, ist schon schiefe Voreiligkeit.
Denn der Geist begrenzt sicher jede Körperbewegung, der Körper begrenzt zwar nicht die Ausdehnung des Geistes, wohl
aber dessen sichtbaren Ichwillen. Gegen Alleinherrschaft des Geistes soll zeugen, daß man in Schlaf und Rausch ohne
freie Selbstbestimmung rede, redet denn da der Leib? Schlafreden enthält nur die gleichen beim Wachen und
Nüchternen wirkenden Vorstellungen, und daß dies ohne Körperbewußtsein möglich, beweist gerade
Geistautonomie. Hätte er das Schlafen der Somnambulen gemeint, wovon er nichts wußte, so wäre gerade hier das
Sekundäre des Körperlichen zu folgern. So sehen viele Beweise Spinozas aus, von dem in gerader Linie die
Sensualisten abstammen. Daß Gut und Bös nichts Positives »an den Dingen«, ist aus Bruno entlehnt,
»das Denken macht es erst dazu«, sagt Hamlet, der Bruno las, doch inwiefern das Denken? Es ist unrichtig,
daß die Bösen nie das Böse wollen, nur
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