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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Herzschlag nicht Ursache, sondern Folge des Kreislaufs. Jawohl, er
benutzt eine von ihm selbstgeschaffene Herzpumpe nur als regulierendes Werkzeug ähnlich wie das Gehirn. Jede Bewegung im
Organischen hat eine einzige unsichtbare Ursache, die sich eines unfaßbaren Nervenfluidums bedient. Beschaffenheit des
Blutes entspricht der Beschaffenheit des psychischen Faktors. Das Herz ist so wenig selbständig wie jedes andere Organ,
es hängt z. B. von Lungenatmung ab, Blut aber ist der unabhängige Träger des Lebens und wird
ausschließlich gelenkt vom geheimen Unsichtbaren der Psyche.
    Mit Wundts Erfahrungspsychologie ist dem Komplex bewußter Täuschung und eingeredeter Selbsttäuschung nicht
beizukommen. Seine »Hegemonie der Zwecke« verbindet sich sonderbar mit Schopenhauers blindem Naturwillen. Die
Natur gehe erst durch willkürliche Handlungen des Individuellen in Kultur über? Willkür der Individuen gibt es
nicht, ihre kausal bestimmten Regungen sind immer Natur und wie soll hier der Begriff Kultur definiert werden?
Außenkultur, d. h. Zivilisierung, entsteht durch Anpassung der Masse, wobei umgekehrt die Individuen vom Milieu
mitgerissen werden. Meint aber Wundt individuelle Eingriffe der Genialen, so ist deren in der Masse verschwindende
Ausnahmeart nicht imstande, allein eine Kulturgesellschaft zu gründen. Pythagoras gründet eine Schule, nicht eine
Kultur, obendrein ist niemand mehr »Natur« als der antikonventionelle Geniale. Deshalb scheint absurd, eine
zehnbändige »Völkerpsychologie« aus Naturlauten und Sprachgefühl der Wilden herauszuhören.
Die Psyche einer Nation wird immer schärfer herausgearbeitet, je verfeinerter ihre wachsende Tradition. Die Gallier
hatten wohl Grundelemente des Franzosentums, doch erst heute kann man mit einer französischen Nationalpsyche rechnen
infolge angesammelter Masse jahrtausendlanger Eindrücke. Als Segest Tochter, Enkel, Schwiegersohn an den Landesfeind
verriet, lieferte er schon typischen Beitrag vom deutschen Wesen, doch daß Kleists Hermannsschlacht den deutschen
Nationalcharakter so umfassend zeichnete, verdankte er eben nur langer Geschichtserfahrung. Um den Franzosen richtig zu
umschreiben, muß man die lange durcheinanderlaufenden Adern des Gallischen und Fränkisch-Burgundischen sezieren,
Kobold Lafontaine neben Zeremonienmeister Racine sehen, während Chateaubriand schwerlich von den Druiden für seine
»Märtyrer« profitiert hätte.
    Der vielgeschäftige Wundt, für Universitätler natürlich »ein König des Geistes« (!),
offenbart nur die Unfähigkeit, in Unerklärbares Gesetze hineinzudiktieren. Diese Wichtigtuerei geht an allem
Telepathischen vornehm vorüber, begnügt sich mit Einteilung in »Elemente« und »Komplexe«,
doch muß »psychophysischer Parallelismus« wenigstens zugeben, daß aus Körperlichem nur
Körperliches wird, daß wohl Körperliches dem Seelischen parallel läuft, nicht aber Seelisches dem
Körperlichen, wie Spinozas Substanz voraussetzt. In psychischer Kausalität walte »schöpferische
Synthese«, Wachstum der Energie, physische Verbindungen arbeiten mechanisch, psychische
»schöpferisch«. Dies starke Adjektivum kann leicht mißverstanden werden. Eigenartig berührt die
durch Wundt bewirkte Teilung von Naturforschung und Psychologie, denn diese Trennung der Beobachtungssphäre hebt schon
das Grundgesetz jedes Materialismus auf, die Identität von Physischem und Psychischem. Wundt nennt sein Gebiet
Erfahrungswissenschaft, erklärt also nur das Psychische im Gegensatz zum abstrakten Naturforschen als konkret
tatsächlich. Das wäre ganz recht, wenn er sich nicht von Fechners Psychophysik abgewendet, das Unbewußte
geleugnet, die Bewußtseinsstände mit allerlei Messungen beglückt hätte. Solcher Halbmaterialismus kommt
gerade in der Hirnanatomie zu Fall. Der Neger hat nur etwa 100 g weniger Hirnsubstanz als der Engländer, dessen
Durchschnitt mit 1534 ccm sehr übertrieben wird. Der weit geringere Schädelumfang vieler bedeutenden Männer
(Leibniz usw.) beweist aber schon die Hinfälligkeit bloßer Gewichtstheorie. Nicht mal hilft die Korrektur,
daß nur das relative, nicht absolute, Gewicht entscheide: Wenn Verhältnis von Gesamtkörper zu Gehirn beim
Tier meist 100:1, beim Menschen 36:1 beträgt, so übertreffen viele Singvögel und südamerikanische
Äffchen mit 13:1 das Menschenmaß weit. Auch liegt strukturelle Hirnverbesserung beim Menschen so wenig vor,
daß laut Brocas

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