Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
Wissenschaft könne ohne Kausalität einer Vorausordnung
bestehen. Das Krabbeln der Spezialisten gleicht dem blinden Unterminieren des Maulwurfs, der die Erde für eine Scheuer
voll Egerlingen hält, während droben die Sonne als Endursache der Egerlinge und seiner selbst strahlt.
    Später ließ Kant hochgeneigtest Gott wieder auferstehen, doch Möglichkeit wird ihm nur deshalb
Gewißheit, weil sittliche Vollkommenheit nur durch eine ins Unendliche fortlaufende Existenz einer persönlichen
Seele erreicht werden könne. Ist hier Unsterblichkeit ein Postulat der Seele oder Existenz der Seele ein Postulat der
Unsterblichkeit? Die Kirche verlangt Jenseitsseeligkeit aus Selbstsuchtschmeichelei, Kant als Gewährleistung der
Sittlichkeit, der Materialist ficht spöttisch an, daß Sittlichkeit den Menschen im Plural etwas Natürliches
und Notwendiges sei: Ist sie Schimäre, dann wäre es laut Kant auch mit der Fortdauer Essig. Nachdem er das
Unsichtbare als belanglos vermöbelte, fiel er plötzlich vor ihm auf die Knie und verrichtete seine Andacht vor
lauter nur ihm erkennbaren Kategorien. Wie wenig man von Systemgebäuden verlangt und sich in jedem leeren Baugerüst
niederläßt, ob es wie bei Fichte, Hegel, Schopenhauer ohne Erdgeschoß und zementiertes Fundament oder wie
bei Spinoza ohne Dach oder wie beim Rationalismus ohne Dach und Fach ist, zeigt die bereitwillige Annahme eines fingierten
festgefügten Kantsystems. Der Patriotenrummel bei Kants 200. Geburtstag trieb die himmlische Berliner
Professorenblüte, Goethe habe als Süddeutscher preussische Pflichtgröße nicht verstanden! Wahrlich,
Bolingbrokes Wort »das Beste in uns ist das Bleibendste« heißt heute: Das Bleibendste ist das Schlechteste,
die Schellfischseelen, die Heine in Hamburg roch, verpesten die ganze Athmosphäre und echt modernes Ästhetentum
spritzt umsonst Moschus hinein.
    Wir verwahren uns aber auch dagegen, Kant als einen himmeltragenden Atlas zu betrachten, da er doch selber auf den
Schultern der Vorgänger steht. Hume erkannte, daß Erfahrung keinen Wahrheitsschlüssel liefere, weil sie
Ursache und Wirkung voraussetzt, wir aber Ursachen nie klar kennen lernen. Daß Wahrscheinlichkeit so viel wie Wahrheit
sei, diesen der Naturwissenschaft bequemen Wahn überließ er dem Nachfolger Mill. Descartes verwarf die sinnliche
Wahrnehmung, stellte als unbezweifelbar nur unser eigenes Zweifeln hin. Gewiß, doch sein Satz »Ich denke, also
bin ich« heißt richtiger »Ich bin, darum denke ich«. Da er keine Brücke zur räumlichen
Ausdehnung und sich noch mit angeborenen Ideen herumschlug, so schuf er unerquicklichen Dualismus, dem auch Leibniz nicht
entrann. Dieser stellte dem Empirismus, daß Erkenntnis nur auf den Sinnen beruht, entgegen: Außer dem
Erkenntnisvermögen selber. Daß auch letzteres durch Sinneseindrücke entstehe, widerlegt sich schon durch
einfache Betrachtung, daß Gehör und Gesicht bei jedem jungen Weltbürger verschieden individuell wirkt, doch
in jedem gleichmäßig der Satz erwacht: 2+2 ist 4. Wenn aber Leibniz einer Täuschungswelt ein Ding-an-sich als
erkennbar aufzwang, so verrückte er die dem Erkenntnisvermögen gesteckten Grenzen. Daß die Außenwelt
unabhängig von uns existiert, diesen Grundsatz Lockes machte der Materialismus sich ganz zu eigen. Da liegt nun Kants
Verdienst darin, den Fall umzukehren, Lockes primäre und sekundäre Eigenschaften des Stoffes kann man eben
umgekehrt anwenden. Dann werden die Dinge primär abhängig von uns, Raum von Raum-Anschauung, Zeit von unserer
Kausalauffassung. Hier werfen aber Kants Anhänger und Anfechter die Begriffe durcheinander, intellektuelle Sauberkeit
gestattet weder Bejahen noch Verneinen jedes Apriorischen. Daß die Ideen Gott und Unsterblichkeit apriorisch seien, ist
theologisches Anhängsel, sie sind bloß Postulate der praktischen Vernunft, sobald sie Reife des Nachdenkens
erlangte, doch sicher nicht angeboren, der Wilde und das Kind erhalten sie erst durch Lehre, auch keineswegs ohne
äußere Sinneseindrücke des Ätherhimmels. Ganz anders steht es mit der Idee Willensfreiheit, diese ist
identisch mit dem Ichgefühl, der Urempfindung jedes organischen Wesens, ohne welche schon das Kind nicht strampelt.
Diese wahrhaft angeborene Idee ist freilich Täuschung, Zeit und Raum desgleichen ohne Würde »idealer«
Begriffe. Denn daß die praktische Vernunft, sobald der Mensch auf zwei Beinen steht, sich Zeit- und Raumbegriffe machen
muß,

Weitere Kostenlose Bücher