Der Aufgang Des Abendlandes
ersetzte den Apoll, weil »berufene Diener Gottes« das Hospital als
Vorhof der Götter ehren, um in ihres Nichts durchbohrendem Gefühl dem geheiligten Ich zu schmeicheln. Nur die
Ästhetik wunschlosen Anschauens tastet nicht gierig danach, den Schleier des Unsichtbaren nach eigener Fasson
zuzuschneiden.
Geisterlehre und Totemismus des Papuanegers sind weiser und nützlicher als eine Wissenschaft, die Sichtbares
nüchtern liest wie ein Kontobuch und dabei doch ins Leere greift, denn die Blätter sind mit unsichtbarer chemischer
Tinte beschrieben, die schärfste Brille sieht nicht mehr davon als das unbewaffnete Auge. »Elohim«
personifizieren jedenfalls anschaulicher die strahlenden Urkräfte, während vorausgesetzte »Atome« sich
bloß als elektrische Sprengwirkung erweisen. Alle Materiebegriffe lösen sich in ein Lichtmeer auf, dessen Quellen
und Strömungen ebenso unberechenbar wie unsichtbar bleiben.
»Wir bewegen uns in einer Menge schwebender Objekte, unsichtbare Welten umdrängen uns. Unter solchen
Phantasmagorien, gleich einem, der sich durch einen Maskenzug Bahn bricht, ringen wir dem Licht entgegen« (Inglesant
1892).
Wenn die Säulenheiligen Schmutz zu religiöser Pflicht machten, so riecht kirchliche Unreinlichkeit nicht
schlechter als Sauberkeit bei philosophischem Symposion, wo irgendein biogenetisches »Grundgesetz« (unter seinen
Gründern Agassiz und Baer noch bescheiden im Hintergrund) als Schaupastete aufgetragen wird, aus der unter
Trompetengeschmetter ein Zwerg herausspringt zur Belustigung des gelehrten Hofstaats. Verwesung winkt neuem Lebenskeim, doch
wo zwei Verwesungen um die Herrschaft streiten! Früher schmorten Kompromißler als Ketzer, heute verbeugt sich
Verständigungstheologie vor »Wissenschaft« und stößt sieh in der Sackgasse wund, daß neue
fettglänzende Schläuche platzen, wenn man abgestandenen Wein neben absurd gärenden Most einfüllt.
Priesterseminare für Kameralia geistlicher Jurisprudenz als Naturheilkunde lassen den Unerforschten ebenso kalt wie
philosophische Quacksalberei, Sünden wider den Heiligen Geist sind nicht dessen Ausgießung, kein Pfingsten brach
an mit Feuerbachs Spott: »Wahrheit ist heute Unwissenschaftlichkeit«, denn er eröffnete Feindseligkeiten
gegen Gott, indem er nur ein irdisches Götzenbild abschüttelte. Doch wie der Preußenkönig gegen Fichtes
»Atheismus« keine Sperre verhängte: »Händel mit Gott? mir tut das nichts«, so lächelt
Gott jenseits jeder Götzendämmerung, ihm tut das nichts!
10. Anthroposophie.
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Daß mit neuer Denkgesinnung allgemeine Seelenveränderung verbunden sei, wird die Steiner-Gruppe nicht müde
zu predigen. Ob ihr selber aber die gewünschte Gewissenhaftigkeit zukommt? Dem bloß Betrachtenden ein
»schaffendes« Bewußtsein entgegenzustellen und die Idee der Entwicklung in seelisches Wachstum zu verlegen,
klingt schön, wenn sich nur etwas dabei denken läßt. Steiner will einerseits erhöhtes besonneneres
Ichbewußtsein, andererseits Ichauflösung im Unbewußten, was nicht durch Trance und Mystik, sondern
Willenskonzentrierung erreicht werden soll. Also Ichvernichtung durch Ichverstärkung, und der Prophet eifert gegen
»dämmernde Mystik«! Erfordernis Disziplin, Ergebnis »vollbewußte Willkür«, und der
Prophet spricht von mathematisch sichern Erkenntnissen! Mit diesen durchleuchtet man den eigenen Körper in
»lebendiger« Anthropologie, die Kraft der Liebe wird so vergedanklicht, daß sie Sozialethik wird? Solche
Kleinodien findet man in einer Scheinmetaphysik, mit der Steiner die Scheinbeweise der Evolutionssophistik verschmilzt, so
kann man zwischen zwei Aberglauben wählen. Also disziplinierter Wille erzieht bewußte Willkür,
unbewußte Unwillkürlichkeit von Ichverdämmerung und Liebeskraft wirft dämonische Willensbejahung,
intellektuellen Ichverzicht und einen mit bewußter Willkür unverträglichen Altruismus durcheinander, dessen
verdanklichte Ethik nun wieder ganz praktisch bewußt auf soziale Propaganda lossteuert! Solche Gedankensprünge
gehen selbst Schopenhauers Willen über die Kraft, der wenigstens einheitlich blind daherrast und sich mit solchen
Verzwicktheiten nicht abgibt. Da wir nicht über dessen vollbewußte Grobheit verfügen, fragen wir
höflich, ob hier vielleicht das Gespenst des freien Willens lustwandelt, da Willkür doch jeder Notwendigkeit
hohnspricht.
Steiners begabtester Schüler, Hayer, versichert, daß nur solche
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