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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Gobelin des Lebens, wo unzählbare
Psychestrahlen sich zu Farbenharmonie vereinen.
    Der Materialismus ist nichts als Rückschraubung des Denkens, das Griechische ergriff gleichfalls zuerst den Stoff,
dann die Kraft, dann statt blindwillkürlichen Wirbels das Planvolle. Den größten Schritt tat Empedokles,
indem er Newtons Anziehung und Abstoßung als Bewegungsursache vorwegnahm, doch als Attribute einer Weltpsyche: Eros und
Anteros. Bestimmte Kategorien des Denkens stellen sich unabweisbar ein, es ließ sich nicht vermeiden, daß die
klaren Hellenen den Lebensinhalt als fließend empfanden, dagegen einige als Allinhalt die Ruhe. Innerhalb des
Sichtbaren gibt es notwendig auch im Denken nur fließende Bewegung, doch »in Gott« nur Ruhe. Plato
ließ die Ideen aufmarschieren, hielt aber Einzelwesen für gleichgültigen Massenabdruck des Ideentextes,
solche Zwiespältigkeit machte den Racker Staat zum Maß aller Dinge wie im Mittelalter die Kirche, Niedergang des
Denkens richtet sich immer häuslich in Respublica ein. Ähnliche Milieuwallungen bringen ähnliche Denksymptome
hervor, Wiederkehr des Gleichen auch Wiedergeburt der Denkweise. Das Bahnbrechende in Plato sehen wir darin, daß er das
Sichtbare als Sinnbild auffaßte, doch indem er als Staatslehrer das Recht des »guten Bürgers« auf
Eigenwuchs beschnitt, unterwarf er das Individuelle teils dem Abstrakten teils dem Materieschein. In ihm und Aristoteles, dem
Stammvater alles Positivismus, in dessen imperialistisch-praktischem Massenstaat Welt der einzelne nur den vom Imperatorgott
geprägten Formen zu dienen hat, erkennen wir schon die gleiche Denkart, die mit Leibniz' Ordnung eines Grand Monarque,
teils in Versailler Taxusgärten, teils in Mordbrennereien harmonisch durchgeführt, zu Kants
Unteroffizier-Imperativen und zur Staatsvergötterung bis zum Weltkrieg verführte. Auf altruistisch maskierten
Staatsmaterialismus folgte in der Antike spöttische oder ernste Abkehr von so praktisch stilisiertem Weltbild. Zyniker,
Epikuräer, Stoiker verzichteten auf jede Weltanschauung, deren bloße Vergesellschaftung durchaus der heutigen
glich. Nach ehrlicher Verzweiflung des Materialismus in Lucrez begann neuer Aufblick in spirituelle Formen, heutige
Bemühungen von Okkultismus und Spiritismus, durch popularisierte Handgreiflichkeit den Stoffkult auszurotten, gleichen
dem Rütteln der Gnostiker an den Materieschranken. Bald darauf brach das große Erdbeben des Christentums herein,
und obschon eine 1912 in London auftauchende Romanprophezeiung über neuerscheinendes Christkind und plötzlich
seelenüberströmende Altruismuswelle sich jämmerlich blamierte, wird die alte Weissagung über Christi
Wiederkehr »nach tausend Jahren und nicht mehr tausend« vielleicht in gewissem Sinne wahr werden. Denn
kausalnotwendig zerstört der Materialismus sich selber und macht der äußersten Radikalideologie Platz. Llouys
»Aphrodite« wälzt sich in der »großen griechischen Sinnlichkeit«, die freilich nur auf
afrikanischem Boden sich derart naiv ausbildete, doch weder Rom noch Hellas kannten so bestiale Wirrwelt, ehe nicht der
greuliche Völkerbrei der Rassenvermischung seit Caracalla jeden sittlichen Halt wegschwemmte. Nach dem machtwütigen
Nationalismus die entnervende Internationale der »alle gleichbegabten Rassen« (Virchow), die erweiterte
Lügenform der Gleichmacherei. Ihr Janusgesicht zeigt teils gröbste Entsittlichung (in zäsarischer Antike
Vermischung aller Kulte zum gleichen Priapusdienst), teils christlichen Pazifismus der Sklavenverbrüderung. Ob heute
neue Christusbewegung wieder den Geist an den Buchstaben, die freie Psyche an einen sozialistischen Kirchenkanon verkuppeln
wird, läßt sich nicht voraussehen.
    Brunos Selbst- und Weltbefreiung rang umsonst gegen Aristoteles, den Kirchenvater der Scholastik, die Jesuiten als
richtige Aristoteliker ließen nur noch Form als Religion gelten, und Descartes als graue Eminenz eines nur scheinbar
autoritätsfeindlichen Rationalismus hätte Richelieus Staatsbeirat werden können, denn alle Neigung zum
Maschinellen führt wie bei Hobbes zur Heiligsprechung des Absolutismus. Bei den Engländern galt seit Bacon, dessen
Credo seinem angeblichen Rosenkreuzertum widerspricht, sogenannte Erfahrung als Norm bürgerlicher Eingemeindung. Sieht
z. B. ein Seher die Aura, die Masse nicht, so ist er abnorm, daher seine Erfahrung unwahr, von so naivem Philistertum kam
englisches Denken nie wirklich

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